Das Hospital der Verklärung.
getrieben und in Wasser getaucht. Weiter unten an der Böschung standen drei Bäume, die zur Hälfte in das Himmelsgewölbe ragten, braune Sternbilder klebriger Knospen. Stefan wandte sich dorthin, vorbei an dichtem Gehölz, da hörte er ein lautes Schnaufen.
Er spähte in das Gewirr der Zweige. Zwischen den Sträuchern kniete Sekulowski und lachte kaum wahrnehmbar in einer Weise, daß es Stefan kalt überrieselte. Ohne sich umzublicken, sagte der Dichter: »Kommen Sie doch mal her, Doktor …«
Stefan zwängte sich durch das Gestrüpp und entdeckte ein kleines rundes Plätzchen. Sekulowski war in die Betrachtung eines Ameisenhaufens vertieft. Rundherum schlängelten sich zwischen rötlichen Stengeln die winzigen Tierchen in langen, pulsierenden Kolonnen.
Stefan stand schweigend da, und Sekulowski sah ihn nachdenklich an. »Es ist nur ein Modell«, meinte er, als er sich erhob.
Arm in Arm traten sie ins Freie. Dort drüben lag das Sanatorium, ein grauer Fleck, klein und niedrig. Wie ein hochroter Klotz, der einem spielenden Kind aus Versehen zwischen seinen Bau geraten ist, leuchtete darin der Operationspavillon. Sekulowski kauerte sich ins Gras und kritzelte eilig etwas auf seinen Notizblock.
»Beobachten Sie gern Ameisen?« fragte Stefan.
»Gern ist zuviel gesagt, aber manchmal muß ich es. Wenn es uns nicht gäbe, dann wären die Insekten die entsetzlichste Schöpfung der Natur. Das Leben ist eine Negation des Mechanismus und der Mechanismus die Negation des Lebens, die Insekten aber sind belebte Mechanismen, ein Spott, ein Hohn der Natur … Fliegen, Raupen, Käfer … Hier aber packt einen das Grausen! ›Schrecken von Gott in der Höhe‹ …«
Er neigte den Kopf und schrieb weiter. Stefan schielte ihm über die Schulter und konnte die letzten Wörter entziffern: »… die Welt – ein Ringen Gottes mit dem Nichts.«
Er fragte den Dichter, ob ein Gedicht daraus werden solle.
»Kann ich’s wissen?«
»Wer denn sonst?«
»Und Sie wollen ein Psychiater, ein Psychologe sein?«
»Die Poesie bezieht Stellung gegenüber den beiden Welten, der sichtbaren und der erlebten«, begann Stefan zögernd. »Wenn Mickiewicz sagte, unser Volk gleiche der Lava …«
»Hören Sie mir damit auf, wir sind doch nicht in der Schule«, unterbrach Sekulowski ihn blinzelnd. »Mickiewicz als Romantiker durfte so etwas sagen, aber unser Volk ist wie ein Kuhfladen, außen trocken und widerwärtig, innen – das weiß man schon. Übrigens nicht nur das unsere. Und was die Stellungnahme betrifft, so möchte ich Sie bitten, in meiner Gegenwart nicht mehr davon zu sprechen, mir wird sonst schlecht.«
Eine Weile ließ er seine Blicke über die sonnige Landschaft schweifen.
»Was ist das – ein Gedicht?«
»Ein Gedicht erscheint mir wie Polychromiestücke unter abgebröckeltem Putz: in einzelnen gleißenden Fragmenten.Dazwischen gähnende Leere. Hinterher versuche ich, diese Bögen von Armen und Horizonten, bemühe ich mich, die Blicke und die Dinge zu verbinden, die an sie gekettet sind … So ist es am Tage. In der Nacht hingegen – zuweilen kommt mir auch nachts etwas ein – ist es wie bei verschlungenen Gliedern, die sich von selbst in ein Ganzes fügen. Das schwierigste ist, sie beim Erwachen hinüberzuretten.«
»War der Vers, den Sie bei unserer ersten Begegnung sprachen, ein Produkt des Tages oder der Nacht?«
»Eher wohl ein Tagesprodukt.«
Stefan versuchte ein Lob anzubringen, wurde aber scharf zurechtgewiesen.
»Unfug. Sie wissen ja nicht, was daraus hätte werden können. Was können Sie überhaupt von Poesie wissen? Schreiben ist ein verteufelter Zwang. Wenn einer, der dem Todeskampf eines geliebten Menschen beiwohnt, aus dessen letzten Zuckungen unwillkürlich alles herausholt, was sich schildern läßt – dann ist er ein wahrer Schriftsteller. Der Philister schreit natürlich gleich: ›Niedertracht!‘ Keine Niedertracht, mein Teuerster, sondern eine Qual. Das ist kein Beruf, man kann es nicht wie eine Stellung im Büro wählen. Ruhe genießen nur die Schriftsteller, die nichts schreiben. Es gibt solche. Sie schwimmen im Ozean der Möglichkeiten, verstehen Sie? Um einen Gedanken auszudrücken, muß man ihn erst begrenzen, und das bedeutet, man muß ihn töten. Jedes ausgesprochene Wort raubt mir tausend andere, jede Strophe ist ein Berg der Resignation. Ich muß mir eine künstliche Sicherheit schaffen. Wenn jene Putzstücke abbröckeln, fühle ich, daß in der Tiefe, dort unter den goldenen Fragmenten,
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