Das Hospital der Verklärung.
als ihn anzuhören.«
»Hat dir der Vers gefallen?«
»Ach, ich muß sagen, trotz allem ja. Der Teufel weiß, wieviel Anomales manchmal in so einem Genie steckt und umgekehrt.«
»Na, hör mal, der Sekulowski ein Genie!« rief Stefan betroffen aus, als wäre er selbst gemeint.
»Ich werde dir mal ein Buch von ihm geben, das du gewiß noch nicht gelesen hast: ›Blut ohne Gesicht‹. Du kennst es nicht, stimmt’s?«
»Nein.«
»Du wirst dich geschlagen geben.«
Mit diesen Worten verabschiedete sich Staszek von Stefan, der erstaunt feststellte, daß er vor seiner Zimmertür stand. Er ging hinein, um sich das Pyramidon aus dem Nachttisch zu holen. Die Schläfen barsten ihm schier von einem bleiernen Druck.
Bei der Nachmittagsvisite suchte Stefan vergebens jener verwelkten Blondine auszuweichen. Sie erwischte ihn doch. So nahm er sie mit in Dr. Nosilewskas Kabinett.
»Ich will Ihnen alles von Anfang an erzählen, Herr Doktor«, beeilte sie sich zu sagen, nervös die dürren Finger verschränkend. »Man hat mich gefaßt, als ich Speck bei mir hatte. Also hab ich getan, als wäre ich verrückt, denn ich fürchtete, sie würden mich in ein Lager sperren. Aber hier ist es ja schlimmer als in einem Straflager. Ich habe Angst vor diesen Idioten.«
»Wie heißen Sie? – Welcher Unterschied besteht zwischen einem Mönch und einem Priester? – Wozu dient ein Fenster? – Was macht man in der Kirche? –« Nach einer ganzen Reihe von Fragen gab es keinen Zweifel mehr, daß die Frau durchaus normal war.
»Und wie haben Sie sich verstellt?«
»Eine Schwägerin von mir ist im Irrenhaus, da konnte ich so allerhand sehen und hören … Man unterhält sichlaut mit einem, der nicht da ist und den man vorgibt zu sehen, und all so ein Zeug.«
»Was soll ich nun mit Ihnen anfangen?«
»Lassen Sie mich hinaus«, flehte sie mit gefalteten Händen.
»Das ist nicht so einfach, meine Liebe. Sie müssen einige Zeit unter Beobachtung bleiben.«
»Und wie lange, Herr Doktor? Ach, hatte ich das nötig!«
»Im Lager hätten Sie es bestimmt viel schlechter gehabt.«
»Ich kann aber nicht mit einer zusammen sein, die unter sich macht, Herr Doktor, ich flehe Sie an. Mein Mann wird es Ihnen zu vergelten wissen.«
»Na, na, lassen wir das«, sagte Stefan mit professioneller Entrüstung. Nun hatte er den richtigen Ton gefunden. »Sie kommen in Saal zwei, der ist ruhiger. Gehen Sie jetzt.«
»Ach, mir ist schon alles gleich. Die quietschen und singen in einem fort, rollen die Augen, ich habe einfach Angst, daß ich selbst noch verrückt werde.«
An den folgenden Tagen lernte Stefan, die Krankengeschichten mit Hilfe einiger abgedroschener Wendungen zu schreiben, ohne den Patienten untersucht zu haben, denn so machten es fast alle. Am ehesten fand er sich in der Mentalität Dr. Rygiers zurecht: Der Psychiater war ohne Zweifel ein gebildeter Mann, jedoch glich seine Intelligenz einem japanischen Garten – Brücken und Stege, alles schön und doch sehr beschränkt und zu nichts nutze. Sein Denken bewegte sich in ausgefahrenen Geleisen. Die Elemente seines Wissens waren so miteinander verbunden, daß er sich ihrer ausschließlich lehrbuchhaft bediente.
Eine Woche später machte die Station nicht mehr dendeprimierenden Eindruck auf Stefan wie zu Anfang. Im Grunde sind das beklagenswerte Geschöpfe, dachte er, obgleich sich einige, vor allem die Manischen, ihres Verkehrs mit den Heiligen nicht gerade im Sinne der Dogmen rühmten.
Pajączkowskis Namenstag fiel auf einen Sonntag. Der Greis erschien in einem frisch gebügelten Kittel; die Spitzen seines schütteren Bärtchens waren feucht auseinandergekämmt, haargenau in der Mitte. Als eine Schizophrene aus der Rekonvaleszentenabteilung ein Gedicht aufsagte, zwinkerte er bejahend hinter den Brillengläsern wie ein altes Vögelchen. Dann sang eine Alkoholikerin, und zum Schluß trat der Chor der Psychopathen auf. Doch plötzlich wurde das Festprogramm unterbrochen: Alle stürzten sich auf den Jubelgreis, der aus einer Wolke von Händen bis an die Decke flog. Es gab großes Geschrei und Geschnauf, sogar eine Teekesselfrau fand sich, fast wie bei Poe. Nur mit Mühe konnte der alte Herr den Händen der Kranken entrissen werden. Der Zug der Ärzte, einer Mönchsprozession nicht unähnlich – vorn der Abt, hinter ihm die Ordensbrüder –, begab sich danach zur Männerstation, wo ein Hypochonder, der sich für krebskrank hielt, zu einem Vortrag ansetzte. Drei Paralytiker hinderten ihn jedoch
Weitere Kostenlose Bücher