Das Hospital der Verklärung.
machen. Worauf es ankommt? Daß der Mensch geläutert wird. Abglanz der Welt, Verewigung des Vergänglichen, Katharsis und Punktum.«
Stefan wagte die Bemerkung, daß es doch eine Überspanntheit sei, in einem solchen Museum zu leben.
»Sie verurteilen das? Ganz zu Unrecht. Ach, bitte, könnten Sie vielleicht das Fenster schließen?«
In dem grellen Licht sah Sekulowski besonders blaß aus. Der Wind trug den aufdringlichen Duft eines Magnolienbaumes herein.
»Vergessen Sie nicht«, fuhr Sekulowski fort, »daß alles in allem enthalten ist. Die fernsten Gestirne nehmen Einfluß auf eine Blütenhülle. Im Morgentau von heute ist die Wolke von gestern. All und jedes ist durch universelle Abhängigkeit miteinander verwoben. Kein Ding kann sich der Macht der anderen Dinge entziehen. Und erst recht nicht das denkende Ding, der Mensch. Steine und Gesichter spiegeln sich in Ihren Träumen wider. Blumenduft beeinträchtigt den Gang unserer Gedanken. Warum also nicht bewußt formen, was zufällig Gestalt annimmt? Wenn wir uns mit solchen Spielereien und Figürchen aus Gold und Elfenbein umgeben, dann ist das genauso, als stellten wir einen Akkumulator auf. Eine fingergroße Statuette ist ein Abguß der jahrelang destillierten Phantasie eines Künstlers. Die Hunderte von Stunden sind also nicht umsonst gewesen: Man kann sich an ihnen erwärmen …« Er hielt inne und fügte seufzend hinzu: »›Und manchmal genügt es mir, einen Stein anzuschauen‹ … Das stammt nicht von mir«, bemerkte er, »es ist Chang Kiu-lin, ein großer Dichter.«
»Ein alter?«
»Achtes Jahrhundert.«
»Sie sagten: denkendes Ding. Sie sind Materialist, nicht wahr?«
»Ob ich Materialist bin? O Wahn des Klassifizierens! Ich bin der Auffassung, daß Mensch und Kosmos aus ein und derselben Substanz gemacht sind, obwohl ich nicht weiß, was sie außerhalb der Worte ist. Doch es sind zwei einander stützende Bogen. Keiner kann für sich allein bestehen. Sie werden mir sicherlich vorhalten, dieser Tisch ist auch nach unserem Tode noch da. Aber für wen? Für eine Fliege wird er ja nicht ›unser Tisch‹ sein. Das ›Sein an sich‹ gibt es nicht, da der Gegenstand sofort zerfällt: Als was existiert denn der Tisch, abstrahiert vom Menschen? Als poliertes Brett auf vier Pfählen? Als ein Haufen mumifizierter Holzzellen? Als ein Chaos chemischer Zelluloseketten oder endlich als ein Wirbel von Elektronennebeln? So bleibt er immer für jemanden etwas. Dieser Baum dort hinter dem Fenster ist ebenso für mich da wie für die Mikrobe, die sich von seinem Saft nährt. Für mich ist es der rauschende Bestandteil eines Waldes, ein Gewirr von Zweigen vor dem Hintergrund des Himmels, für die Mikrobe aber bedeutet ein einziges Blatt einen grünen Ozean und ein Zweig ein ganzes Universum. Kann man bei mir und der Mikrobe noch von einem gemeinsamen Baum sprechen? Doch wohl nicht. Warum dann also unseren Standpunkt wählen und nicht den der Mikrobe?«
»Weil wir eben keine Mikroben sind«, erwiderte Stefan.
»Vorläufig noch nicht, aber die Zeit kommt, da wir, aufgelöst in Nitrobakterienherde, vom Boden aus in die Baumwurzeln dringen, uns zu Äpfelchen verbinden, die ein anderer verzehrt, der wie wir jetzt philosophieren und sein Auge an rosa gefärbten Wolken laben wird, die dann vielleicht Wasser aus unseren Körpern führen. Unddas immer so fort. Die Zahl der Permutationen ist unendlich.«
Sekulowski zündete sich höchst zufrieden eine Zigarette an.
»So sind Sie Atheist?«
»Ja, aber dessenungeachtet habe ich meinen Tempel.«
»Einen Tempel?«
»Ja. Haben Sie zufällig die ›Litanei an meinen Körper‹ gelesen?«
Stefan hatte diesen Hymnus auf Lungen, Leber und Nieren tatsächlich in Erinnerung.
»Originelle Gottheiten …«
»Nun, das ist ein Gedicht. Ich ziehe einen scharfen Trennungsstrich zwischen meinen philosophischen Anschauungen und meinem Schaffen, und ich lasse mich von niemand nach dem beurteilen, was ich früher einmal geschrieben habe«, versetzte Sekulowski plötzlich aufbrausend, warf seinen Zigarettenstummel unter den Tisch und fuhr dann ruhiger fort: »Aber manchmal bete ich allen Ernstes. Früher pflegte ich so anzufangen: ›Gott, der du nicht bist.‹ Eine Weile gefiel mir das recht gut. In letzter Zeit jedoch wende ich mich an … die blinden Mächte.«
»Wie bitte?«
»Ich bete zu den blinden Mächten, sage ich. Denn eigentlich sind sie es doch, die unserem Leib, der Welt und auch den Worten, die ich in diesem Augenblick
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