Das Hospital der Verklärung.
spreche, obwalten. Ich weiß, daß sie die Gebete nicht erhören« – er lächelte –, »aber was schadet’s?«
Es war kurz vor elf. Stefan mußte wohl oder übel seine tägliche Visite antreten. In dem Einzelzimmer acht war seit mehreren Wochen ein gewisser Pfarrer Niezgloba einquartiert, ein untersetzter, knochiger Mann, dessen Hände von lila Aderverästelungen bedeckt waren. Er mußte früher einmal körperliche Arbeit verrichtet haben.
»Nun, wie fühlen Sie sich?« fragte Stefan sanft, als er das Zimmer betrat.
Der Pfarrer genoß das Vorrecht, seine Soutane tragen zu dürfen, die sich als ungleichmäßiger schwarzer Fleck von dem weißen Hintergrund des Krankenzimmers abhob. Stefan wollte zartfühlend sein, denn er wußte genau: Wenn Marglewski, der Leiter der Station, gut gelaunt war, dann titulierte er den Pfarrer »Gesandter des Himmelreichs« und traktierte ihn mit Anekdoten aus dem Leben kirchlicher Würdenträger. Der magere Doktor verfügte nämlich auf diesem Gebiet über beträchtliche Kenntnisse.
»Es quält mich, Herr Doktor.«
Die Stimme des Pfarrers klang angenehm, vielleicht etwas zu weich. Er litt unter einer Halluzination, die immer wiederkehrte: Als er sich einmal bei einer Taufe einen kleinen Rausch angetrunken hatte, hörte er plötzlich hinter seinem Rücken eine Frauenstimme. Er sah sich um, konnte aber niemand entdecken. Die geheimnisvollen Laute strömten aus einem Raum, den er nicht mit den Augen zu durchdringen vermochte.
»Immer noch die persische Prinzessin?«
»Ja.«
»Sie sind sich doch darüber im klaren, daß es eine Sinnestäuschung ist, eine Halluzination?«
Der Pfarrer zuckte mit den Schultern. Seine Augen waren eingefallen von Schlaflosigkeit, die dunklen Lider übersät von winzigen Äderchen. »Genauso unwirklich könnte dann auch unser Gespräch jetzt sein, Herr Doktor, denn ich höre diese Stimme ebenso deutlich wie die Ihre.«
»Nun, machen Sie sich keine Sorgen, das vergeht. Doch auf Alkohol müssen Sie ganz verzichten.«
»Es wäre ja eine Kleinigkeit für mich«, sagte der Geistliche zerknirscht und starrte auf seine Füße, »aber meine Pfarrkinder sind nun mal unverbesserlich.« Er seufzte.
»Fühlen sich beleidigt, sind immer gleich verärgert und dabei aufdringlich, daß man schon um des lieben Friedens willen …«
»Hm.« Stefan prüfte mechanisch die Sehnenreflexe und fragte beim Weggehen noch, während er das Hämmerchen im Kittel verschwinden ließ: »Was tun Sie den ganzen Tag? Langweilen Sie sich nicht? Soll ich Ihnen Bücher besorgen?«
»Ich habe ja eins …«
In der Tat lag ein dickes, schwarz eingebundenes Buch vor ihm auf dem Tisch.
»So? Und was lesen Sie?«
»Ich bete.«
Stefan fielen plötzlich die »blinden Mächte« ein, und er blieb an der Tür stehen. Dann schritt er, vielleicht zu abrupt, hinaus.
Auf Dr. Nosilewskas Station ließ er sich nicht mehr blicken. Die individuellen Geschicke der Kranken, die ihn anfangs ebenso gefesselt hatten wie in seiner Kindheit Onkel Ksawerys Anatomieatlas, der voll blutiger Bilder war, ließen ihn kalt. Manchmal wechselte er ein paar Worte mit dem alten Pajączkowski, zuweilen assistierte er ihm auch freiwillig bei der Morgenvisite.
Durch die Arbeit auf der neuen Station lernte er Schwester Gonzaga, Kauters’ Stationsschwester, kennen. Dick, umbauscht von vielen Röcken, breitknochig, sah sie recht furchtgebietend aus. Das mochte jedoch nur äußerlich sein, denn niemand hatte sie je in Erregung gesehen. Sie wirkte auf die Phantasie, wie die Vogelscheuche auf die Phantasie der Vögel wirken mag. Ihre Wangen liefen in zahlreichen Fältchen zusammen, die in der bläulichen Linie des Mundes endeten. Sie hielt stets etwas in ihren abnorm großen Händen, sei es ein Schlüsselbund im Lederbeutel, das Aufnahmebuch oder auch ein Bündel Kompressen.Das Tablett mit der Spritze hingegen trug sie nie, dafür waren die Pflegerinnen da. Eine tüchtige Operationsschwester, einsam und wortkarg, schien sie kein Privatleben zu haben. Ihr allein zollte Kauters Respekt. Einmal konnte Stefan beobachten, wie der hochgewachsene Chirurg nervös mit den Armen ruderte und die Hände gegen die Brust schlug, als wollte er sich vor ihr rechtfertigen, sie überzeugen oder um etwas bitten. Schwester Gonzaga stand groß und reglos da – der Fensterschatten teilte ihr Gesicht in zwei –, ohne mit den wimperlosen Augen zu blinzeln. Diese Szene war so außergewöhnlich, daß Stefan sie im Gedächtnis behielt. Und keine
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