Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
andere gab ihm später Aufschluß darüber. Man konnte die Stationsschwester Tag und Nacht auf den Korridoren treffen, wie sie mit gleichmäßigen, unter den Röcken unsichtbaren Schritten dahinglitt und, dem Mond nicht unähnlich – zumal von hinten –, mit ihrer Haube die halbdunklen Galerien erhellte.
    Stefan sprach mit ihr nur, wenn er ihr Weisungen hinsichtlich Therapie oder Medikament zu erteilen hatte. Einmal war er gerade von Sekulowski zurückgekommen und suchte im Dienstzimmer eine Dose aus dem Schränkchen. Schwester Gonzaga war zugegen und trug etwas in das Buch ein. Plötzlich sagte sie: »Der Sekulowski ist viel schlimmer als ein Verrückter: Ein Komödiant ist er!«
    »Erlauben Sie!« Stefan wandte sich um, erstaunt über diese regelwidrige Anrede. »Hatten Sie zu mir gesprochen, Schwester?«
    »Nein. Ich sagte es ganz allgemein«, erwiderte sie und schnürte ihren Mund zusammen.
    Stefan wagte natürlich nicht, dem Dichter diesen Vorfall zu berichten, er fragte ihn nur beiläufig, ob er Schwester Gonzaga kenne. Sekulowski interessierte sich jedoch nicht für das Hilfspersonal. Über Kauters war sein Urteilkurz und bündig: »Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie ornamental seine Intelligenz ist?«
    Stefan sah ihn fragend an.
    »So flach, wissen Sie?«
    In einer Ecke, die durch zwei zusammentreffende Außenmauern gebildet wurde, war der Katatonikerpavillon, umrankt von Winden, die jetzt ihre blattlosen Stengel skeletthaft reckten. Er war vernachlässigt und schien von allen vergessen. Stefan ging selten dorthin. Anfangs wollte er diesen Augiasstall ausmisten, diese düsteren, von der bläulichen Decke fast erdrückten Räume mit den niedrigen Fenstern, wo die Kranken in erstarrten Posen lagen oder knieten; bald aber gab er seinen reformatorischen Eifer auf.
    Die Wahnsinnigen lagen auf Netzen ohne Matratzen, die schmutzverkrusteten Körper übersät von Schwären, die dem Muster der Drähte und Stäbe ihrer Lagerstatt entsprachen. Die Luft war durchdrungen von ätzendem Ammoniak- und Exkrementengestank. Diese unterste Höllenstufe, wie Stefan sie einmal bezeichnet hatte, wurde auch von den Pflegern gemieden. Man hatte den Eindruck, daß diese Menschen mit ihren abstumpfenden Sinnen von unbekannten Mächten am Leben erhalten wurden. Zwei junge Burschen hatten Stefans Augenmerk auf sich gelenkt. Der erste, ein Jude aus der Kleinstadt, dessen Kopf, bedeckt von sprödem, karottenrotem Haar, einem Kürbis glich, kauerte stets nackt auf seinem Bett. Sooft jemand seine Zelle betrat, zog er sich die Decke über den Kopf. Tagelang rief er stöhnend immer wieder dieselben zwei Wörter, ohne müde zu werden. Wenn man sich ihm näherte, hob er seine Stimme zu beschwörender Klage und bebte am ganzen Körper. Der Blick seiner blauen Augen war ein für allemal auf die eiserne Bettlehne gerichtet. Der andere, strohblond, schritt ununterbrochen den Gangzwischen dem Gelaß des Juden und dem großen Saal ab, vom Eckbett zur Wand und zurück, hin und her. Auf diesem Golgatha von acht Schritten prallte er jedesmal gegen die Bettlehne, doch er spürte es nicht. Oberhalb der einen Hüfte hatte er eine schwarze, geschwollene Wunde. Wenn er einen Fremden hörte, bedeckte er das Gesicht mit den Händen, die er sonst vor der Brust gekreuzt hielt, aber seine Wanderung unterbrach er nicht. Dann stieß er auch einen schwachen, kindlichen Seufzer aus, der in der Kehle eines werdenden Mannes seltsam klang. Sein Körper, der Macht des Geistes ledig, lebte tierisch dahin. Das offene Hemd gab die Brustmuskulatur frei, die einen Torso von statuenhafter Schlankheit umspannte. Sein Gesicht, blaß wie die Wand, an die er schlug, mit vorspringenden bläulichen Augäpfeln, war in dem Ausdruck einer Frage oder Bitte erstarrt.
    Einmal erschien Stefan zu ungewöhnlicher Stunde bei den Katantonikern; gleich nach dem Essen. Er hatte die Absicht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Er hegte nämlich den Verdacht, daß die Pflegerin Ewa den Jungen eine Gemeinheit antue, da sie sich immer unruhig verhielten, sooft sie dort gewesen war. Der Jude zitterte so heftig, daß das Bett drahtklirrend widerhallte, während der schlanke Jüngling fast im Laufschritt den kleinen Flur durchmaß, mit der Hüfte gegen die Lehne stieß, im Sprung kehrtmachte und gegen die Wand rannte.
    Die Räume waren erfüllt von dem Halbdunkel der nebligen Abenddämmerung. Der Wind schlug die Ranken an die Scheiben. Stefan verhielt im Flur den Schritt: Am Bett des Juden stand Dr.

Weitere Kostenlose Bücher