Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
die psychischen Buckel und Absonderlichkeiten so verdeckt und verdunkelt, daß man sie nur mit Mühe aufspüren kann. Erst hier, im Konzentrat, offenbaren Sie unmißverständlich den Charakter ihrer Zeit. Es ist ein Museum der Seelen …«
    »Aber nein, darauf wollte ich gar nicht hinaus«, erwiderte Stefan und fühlte sich plötzlich einsam. Er suchte nach Worten und fand keine.
    »Ach, ich hatte eigentlich weiter nichts …«, brummte er, machte kehrt und ging eilig hinaus, als fürchtete er, daß der Dichter ihn zurückhielt; doch Sekulowski war jetzt von einer Spinne gefesselt, die hinter seinem Bett hervorkam und die Wand hochkroch; er warf das erste beste Buch danach, das ihm in die Finger geriet, und als es klatschend zu Boden fiel, starrte er gebannt auf den Klecks, in dem ein fadendünnes Bein zuckte.
    Im Gang traf Stefan Marglewski, der ihn zu sich einlud.
    »Ich habe ein Fläschchen ›Extra Dry‹ erstanden«, sagte er, »wollen wir das nicht gemeinsam leeren?«
    Stefan lehnte ab, aber Marglewski faßte das als falsche Bescheidenheit auf. »Kommen Sie ruhig, es ist ja nicht der Rede wert.«
    Marglewskis Zimmer lag am anderen Ende von Stefans Korridor. Leuchtende Möbel füllten den Raum: ein Schreibtisch mit Glasplatte, die auf einem Prisma von Schubfächern und geschwungenen Stahlrohren ruhte. Ähnliche Stahlrohre bildeten das Gerüst der Sessel. Stefan fühlte sich in das Wartezimmer eines Zahnarztes versetzt. An den Wänden einige Bilder in getriebenen Metallrahmen. Zwei Wände nahmen Bücherregale ein; die Bücher, pedantisch geordnet, waren auf dem Rücken mit weißen Nummern versehen. Während Marglewski eine Decke über den Klubtisch breitete, griff Stefan mechanisch nach einem Bändchen, und schlug es auf: Pascals »Briefe an einen Provinzial«. Aufgeschnitten waren nur die ersten beiden Blätter. Der Hausherr zog eine Schublade aus der modischen Anrichte, weiße Teller mit belegten Brötchen kamen zum Vorschein. Nach dem dritten Gläschen wurde er gesprächig. Der Alkohol machte Marglewskis gestikulierende Redeweise noch auffälliger. Erzählte er etwa, sein Kittel habe Flecke abbekommen, so rieb er die Knöchel aneinander wie eine Waschfrau. Die Arme wie ein Dirigent schwingend, zeigte er Stefan seine zahlreichen Zettelkästen, die auf dem Fensterbrett standen. Die großen Karteikarten waren von bunten Reitern zusammengehalten. Marglewski hatte also eine wissenschaftliche Arbeit vor. Blitzschnell häufte er die prallen Manuskripthefte aufeinander; darin analysierte er die Mitwirkung der Blasensteine Napoleons beim Ausgang der Schlacht von Waterloo, suchte er den Einfluß zu ergründen, den die Fermentation ungenutzter Hormone auf die kollektivenVisionen der Heiligen ausgeübt hat – hier lachte er und beschrieb einen Kreis über dem Kopf, was einen Glorienschein darstellen sollte. Ein wenig leid tat es ihm ja, daß Stefan nicht gläubig war. Er suchte vornehmlich naive, unberührte Menschen; sie mußten noch in die religiöse Dogmatik verstrickt sein. Er brauchte sie wie das Handtuch zum Waschen.
    »Sie sind doch oft bei Sekulowski, Kollege«, fuhr er fort. »Fragen Sie ihn einmal, warum in der Literatur so viel phantasiert wird. So manche Liebe, Verehrtester, ist allein dadurch in die Brüche gegangen, daß der Liebhaber ein menschliches Rühren verspürte, sich aber schämte, es seiner Angebeteten zu sagen, und lieber einen jähen Drang zum Alleinsein vortäuschte, um sich in die Büsche schlagen zu können. Ich selbst kenne einen solchen Fall …«
    Stefan griff mehr aus Langeweile denn aus Neugier in die offenen Karteien. Zwischen steifen Pappdeckeln türmten sich gleichmäßig geordnete Stapel maschinenbeschriebener Bogen. Marglewski sprach noch immer, aber seine Rede war jetzt chaotischer, als weilte er mit den Gedanken anderswo. Einmal fing Stefan einen scharfen, kalten Blick von ihm auf. Als er so vornübergeneigt dasaß, mit seiner vorgestreckten, gewissermaßen emsig schnüffelnden Nase, sah er aus wie eine alte Jungfer, die ihren einzigen Fall beichten möchte.
    Er begann mit einer Einleitung, die so bombastisch mit lateinischen Wendungen gespickt war, daß Stefan kein Wort verstand. Marglewskis nervöse, magere Finger liebkosten ungeduldig den polierten Deckel einer Schatulle und öffneten sie schließlich. Stefan warf neugierig einen Blick hinein: Obenauf lag eine lange Liste, wohl ein Inhaltsverzeichnis. Es gelang ihm, ein paar Brocken zu erhaschen: Balzac – hypomaniakalischer

Weitere Kostenlose Bücher