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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Psychopath, Baudelaire – Hysteriker, Chopin – Neurastheniker, Dante –Schizoider, Goethe – Alkoholiker, Hölderlin – Schizophrener …
    Marglewski lüftete das Geheimnis ein wenig. Er hatte ein großes Werk über geniale Menschen in Angriff genommen und es sogar in Fragmenten veröffentlichen wollen, doch leider war ihm der Krieg dazwischengekommen …
    Nun entfaltete er mehrere umfangreiche Blätter; Stammbäume waren darauf gezeichnet. Er redete sich so in Begeisterung, daß ihm dunkle Flecke auf die Wangen traten. Er zählte die Geistesgestörtheiten, Selbstmordversuche, Betrügereien und seelischen Komplexe berühmter Männer mit einer Leidenschaft auf, daß Stefan der Gedanke kam, Marglewski leide möglicherweise selbst an irgendeiner Anomalie und glaube sich durch diese fragwürdige Art der Verwandtschaft in die Familie der Genies einschleichen zu können. Mit größter Gewissenhaftigkeit hatte er alle nur erreichbaren Daten über Verfehlungen der Großen gesammelt, mit größter Gewissenhaftigkeit prüfte er, sezierte er ihre Mißerfolge, ihre Tragödien, die Enttäuschungen ihres Lebens. Wenn er in postumen Schriften die leiseste Spur einer Unredlichkeit zu finden glaubte oder sie auch nur vermutete, so erfüllte ihn das mit unverhohlener Freude. In einem Augenblick, da er zum untersten Schreibtischfach stürzte und mit flatternden Händen in den Schriften blätterte, um Stefan seine neueste Errungenschaft zu zeigen, nutzte der die Pause und warf ein: »Mich dünkt, große Werke entstehen nicht durch den Wahnsinn, sondern trotz seiner …«
    Als er dem andern ins Gesicht blickte, bereute er seine Äußerung sofort. Marglewski schaute von seinen Papieren auf, die Augen schmal wie Schlitze.
    »Trotz seiner …?« fragte er spöttisch zurück. Hastig sammelte er die verstreuten Blätter auf, riß Stefan die ausgebreiteten Tabellen fast vor der Nase weg und warf siein ihre Ordner. Erst dann wandte er sich dem Gast wieder zu.
    »Sie sind noch unerfahren, lieber Kollege«, sagte er, die Finger verschränkend. »Schließlich leben wir nicht in der Renaissance, und übrigens konnte auch damals eine unüberlegte Handlung fatale Folgen nach sich ziehen … Sie sind sich darüber wohl nicht im klaren … Dennoch, was subjektiv gerechtfertigt sein kann, hört angesichts der Fakten auf, es zu sein …«
    »Wie meinten Sie?« fragte Stefan steif.
    Marglewskis würdigte ihn keines Blickes. Er rieb seine langen, dürren Finger aneinander und starrte sie wie fasziniert an. Schließlich sagte er: »Sie gehen doch so oft spazieren … Wußten sie übrigens, daß diese Bierzyniecer Elektriker da in ihrem Ziegelhaus nicht nur das Odium eines schlechten Rufs, sondern Gott weiß was über das Krankenhaus bringen können? Sehen wir einmal davon ab, daß sie dort, wie es heißt, Waffen versteckt halten – der junge Bursche, dieser Pościk, ist ein Bandit, ein ganz gemeiner Bandit!.«
    »Woher … woher wissen Sie das …?« brachte Stefan mühsam hervor.
    »Tut nichts zur Sache.«
    »Aber das ist doch unmöglich!«
    »Unmöglich, sagen Sie?« Brennender Haß sprühte aus Marglewskis brillenbewehrten Augen. »Haben Sie noch nie von einer polnischen Untergrundbewegung gehört? Von einer Londoner Regierung?« zischelte er, und seine großen Hände hüpften bei jedem Wort über den weißen Kittel. »Unsere Armee ließ damals im September Waffen zurück, hier in den Wäldern. Und dieser … Pościk hat sich ihrer angenommen. Als er das Versteck zeigen sollte, hat er sich glatt geweigert. Er wolle lieber auf die Bolschewiki warten!«
    »Das hat er gesagt? Woher wissen Sie das?« wiederholte Stefan kraftlos, ganz betäubt von der unerwarteten Wendung, die das Gespräch genommen hatte, und von der Erregung Marglewskis, der am ganzen Leibe zitterte.
    »Ich habe keine Ahnung! Ich weiß von nichts! Habe damit nichts zu tun!« antwortete Marglewski brüsk, noch immer im gleichen Ton. »Alle wissen darüber Bescheid, ausgenommen Sie, lieber Kollege!«
    »Sie meinen also, es sei ratsam, diese Gegend zu meiden?« Stefan erhob sich. »Tatsächlich, einmal, rein zufällig, es war während eines Gewitters, da hatte ich auch …«
    »Ich meine gar nichts!« unterbrach ihn Marglewski, der ebenfalls aufstand oder vielmehr hochsprang. »Ich bitte Sie um alles in der Welt, vergessen Sie das! Ich hielt es lediglich für meine Pflicht als Kollege – tun Sie, was Sie für richtig befinden, aber ich möchte nochmals unterstreichen, machen Sie nur in

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