Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
den Machorkakrümeln wieder auf dem Tisch. Man rauchte. Stefan hoffte, Woch würde nun in seiner Erzählung fortfahren, aber der Werkmeister machte keine Anstalten. Grau, massiv, mißmutig saß er da, atmete vernehmlich, stieß den Rauch in Ringen aus und beantwortete Stefans Fragen einsilbig. Als Stefan erfuhr, daß Woch mehrere Jahre als Meister im Elektrizitätswerk seiner Heimatstadt gearbeitet hatte, bemerkte er: »Ach, dann habe ich es sozusagen Ihnen zu verdanken, wenn in meiner Wohnung Licht brannte?« Stefan wollte das als Band zwischen ihnen hervorkehren, auch wennes noch so geringfügig war. Woch reagierte nicht, er schien mit den Gedanken anderswo zu sein. Der Regen hatte beinahe aufgehört, allein die Dachrinne tickte ab und zu unter den spärlichen Tropfen. Stefan zögerte den Abschied hinaus, es war ihm peinlich, in der plötzlich so fremden Atmosphäre zu gehen.
    Das Gespräch indes kam nicht wieder in Fluß; auf der Suche nach einem neuen Thema nahm Stefan einen funkelnden, vernickelten Apparat vom Tisch, Wochs Feuerzeug, auf dessen Flachseiten kleine Ornamente eingraviert waren. Gotische Lettern zierten die eine Seite: »Andenken aus Dresden«, und auf dem Deckel stand: »Für gute Arbeit.«
    »Ein hübsches Feuerzeug ist das«, sagte Stefan einschmeichelnd. »Sie haben wohl auch in Deutschland gearbeitet?«
    »Nein«, erwiderte Woch mit abwesendem Blick. »Ich habe es hier bekommen, vom Chef.«
    Stefan war unangenehm berührt. »Ein Deutscher?«
    »Ein Deutscher«, bestätigte Woch und sah Stefan merkwürdig an.
    »Wohl für gute Arbeit …«, versuchte Stefan den Gesprächsfaden wiederaufzunehmen, weniger fragend als ironisch, obgleich er fühlte, daß dieses Thema nicht angetan war, die Stimmung zu heben.
    »Ganz recht, für gute Arbeit«, gab Woch mit der gleichen Ironie, aber nicht ohne Schärfe zurück. Das brachte Stefan völlig aus dem Konzept; er zerbrach sich den Kopf, wie er einen neuen Anknüpfungspunkt finden könnte, stand sogar auf und erging sich mit gespielter Ungezwungenheit in dem Raum. Willens, auch eine strenge Verwarnung wegen der Gefahr in Kauf zu nehmen, steckte er die Nase in die Meßapparaturen, nur um das feindliche Schweigen zu brechen, in dem er einfach zu existieren aufgehört hatte.Alles vergebens. Der Alte räumte klappernd das leere Geschirr ab und trug es hinaus. Zurückgekehrt, verständigte er sich mit Woch in abgerissenen, undeutlichen Ausdrücken, deren Sinn Stefan verborgen blieb. Woch saß noch immer leicht vornübergeneigt, die mächtige Brust an die Tischkante gepreßt; der Strom summte. Pościk hatte das Fenster aufgestoßen, frische Nachtkühle drang herein. Kurz darauf öffnete sich die Flurtür. Der junge Arbeiter, den Stefan schon zweimal gesehen hatte, stand im Türrahmen. Über seinen Schultern hing, dunkel und völlig darchnäßt, der Soldatenrock mit dem Futter nach außen; die kupferblonden Haare klebten am Schädel, Wassertropfen rannen ihm über das Gesicht. Um seine Füße bildete sich gleich eine kleine Lache. Keiner sprach, aber Stefan wußte sofort, daß die anderen auf seine Ankunft gewartet hatten. Die beiden verständigten sich durch einen Blick, der Alte schlurfte in die Ecke, und Woch, bislang die Ruhe selbst, sprang mit einemmal auf und trat auf Stefan zu. »Ich werde Sie hinausbegleiten, Herr Doktor. Der Regen hat nachgelassen.«
    Das wurde so unumwunden, so ohne jede Spur von heuchlerischer Zeremonie gesagt, daß Stefans krampfhafte, chaotische Überlegungen, wie er seinem Abgang den Anschein von Freiwilligkeit verleihen könnte, völlig versagten. Tief verletzt, ja wütend, ließ er sich hinausführen. Draußen zeigte Woch ihm den Weg zum Sanatorium und machte Anstalten, sich zu verabschieden. Da drängten sich Stefan unwillkürlich Worte auf die Zunge, und er stammelte: »Herr Woch, ich hab mich bei Ihnen ja … warum denn nur … sehen Sie doch ein, ich …«
    Mehr wußte er nicht zu sagen.
    Es war so dunkel, daß sie kaum die Umrisse ihrer Köpfe wahrnahmen. Woch erwiderte leise: »Nicht der Rede wert. Daß man einen anderen nicht naß werden läßt –das gehört sich so. Aber extra Besuch machen, das lohnt nicht. Wenn noch was Besonderes los wäre bei uns, aber so? Sie verstehen.«
    Er hatte Stefan seine Hand ganz behutsam auf die Schulter gelegt. Das sollte keine vertrauliche Geste sein, sondern entsprang lediglich der Absicht, den Gesichtssinn in der trennenden Finsternis durch den Tastsinn zu ersetzen. Woch sprach nicht

Weitere Kostenlose Bücher