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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der psychiatrischenKlinik gewesen, bis ihn die Deutschen von seinem Posten entfernten. Jetzt zog er inoffiziell als Gast Pajączkowskis in das Sanatorium ein. Der Adjunctus selbst hatte sich mehrmals zum Bahnhof bemüht, um der eingetroffenen Habe des Professors ehrenvoll das Geleit zu geben. Tags darauf erschien dann Łądkowski selbst. Józef rannte geschäftig treppauf, treppab, um eine Leiter, irgendwelche Stangen oder die Teppiche vom Klopfen heraufzuholen.
    Den ganzen Tag über hörte Stefan, wie sie nebenan hämmerten, schwere Kisten rückten und mit Gepolter die Möbel aufstellten. Die Ärzte nahmen die Anwesenheit Łądkowskis mit ziemlichem Gleichmut hin. Beim Mittagessen herrschte Schweigen, das durch das hartnäckige Surren der Fliegen noch spürbarer wurde. Stefan verhängte sein Fenster mit einem Stück feuchter Gaze, um die glühendheiße Luft abzukühlen, und blätterte, auf seinem Bett ausgestreckt, im Lehrbuch der Psychologie. Er betrachtete die Fotografien unbekannter Menschen: Diese Varianten ein und desselben Typs verletzten in ihrer massenhaften Existenz seine Auffassung von der Unwiederholbarkeit. Eine einfache Verschiebung der Grundproportionen bestimmte hier die Unterschiede der Individuen: Ein Gesicht konzentriert sich in der Augengegend, ein anderes in den Kiefern, in einem dritten dominieren die Wangen. In der Stadt pflegte er sich die Züge der vor ihm Gehenden vorzustellen, besonders die der Frauen. Die Straßen, diese flimmernden Kollektionen von Gesichtern, ermöglichten es ihm, das Spiel stundenlang fortzuführen. In diesem Moment trat Pajączkowski ein und unterbrach Stefans Überlegungen. Zunächst erkundigte er sich angelegentlich nach der Lektüre des »verehrten Kollegen«, dann wechselte er auf sein Lieblingsthema über.
    »Na ja, Sie werden ja so etwas nicht mehr erleben«, sagte er mit schwermütigem Unterton, »leider, einem sogroßen, klassischen Anfall von Hysterie wie im Arc de cercle begegnet man heute nirgends mehr. Ich erinnere mich noch, damals bei Charcot in Paris …« Er geriet in Rührung.
    Offensichtlich hatte er das Schmunzeln bemerkt, das um Stefans Lippen spielte, denn er fügte hinzu: »Na ja, in gewisser Hinsicht ist das wohl ganz gut so, obgleich man nicht behaupten kann, die Hysterie sei verschwunden. Ich denke mir, die psychischen Strömungen haben sich einfach ein neues Bett geschaffen. Ach so, ja, was wollte ich doch bloß mit Ihnen besprechen?«
    Stefan erwartete von Anfang an irgendeine Eröffnung, denn der Besuch ließ auf Außergewöhnliches schließen. Pajączkowski suchte ihm denn auch des langen und breiten zu beweisen, der Łądkowski sei eine große Berühmtheit, die Amerikaner Lashley und Goldschmitt seien seine Freunde, und jetzt hätten ihn die Deutschen auf die Straße gesetzt. »Auf die Straße …« Seine Stimme klang brüchig vor Ergriffenheit.
    »Es gehört sich doch, daß wir es ihm irgendwie entgelten … nicht wahr … soviel in unseren Kräften steht …«
    Wenn Stefan an der Reihe sei, möge er dem Rektor einen Besuch abstatten, bat Pajączkowski.
    So machte er seinen Rundgang bei allen Ärzten.
    Am ersten Abend begaben sich Marglewski, Pajączkowski und Kauters, als die Ältesten, zur »Überbringung des Beglaubigungsschreibens«, wie Marglewski sich ausdrückte. Am Tage darauf folgten Dr. Nosilewska und Rygier. Staszek und Stefan bildeten am dritten die Nachhut. Krzeczotek knurrte etwas von vorsintflutlichen Gepflogenheiten: Erst hieße es, sie seien alle gleich und arbeiteten zusammen, bildeten angesichts des Feindes eine Einheit; gelte es aber, sich bei jemand einzuführen – wiedumm! –, dann müsse man sich nach Rang und Alter aufstellen.
    Stefan fand auf dem Boden seines Koffers eine entsetzliche schwarze Krawatte. Da sie voller Flecke war, schloß er sorgfältig das Jackett, und sie brachen auf.
    Łądkowski erinnerte an einen mageren Löwen ohne Hals. Eingedrückter Kopf, umrahmt von silbrigen Locken, Haarbüschel in den Nüstern, Kartoffelnase, unregelmäßige, abrupt endende Züge. Die ergrauten Brauen bildeten ein schräges Schirmdach, und sie waren federleicht, so daß sie bei jeder Bewegung schwankten. Vom glattrasierten Kinn liefen Falten den Hals hinab, die gespannt waren wie Saiten.
    Stefan, der schon mehrere Arztwohnungen im Hause kennengelernt hatte, war auf die des Professors gespannt; man hatte sie zwar in aller Eile eingerichtet, aber der Pferdewagen war immerhin sechsmal zum Bahnhof gefahren.
    Gleich neben

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