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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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gerade mit Unwillen, aber ein Unterton schwang in seiner Rede mit. Ohne begriffen zu haben, sagte Stefan hastig: »Schon gut. Dann also vielen Dank und gute Nacht.« Er fühlte einen kurzen Händedruck, machte kehrt und strebte ohne Umwege seinem Ziel zu.
    Von Windböen getrieben, die noch einzelne Regentropfen brachten, stapfte er den lehmigen Hang hinauf. Er war erregt von seinem Erlebnis, das ganze Monate seines Krankenhausdaseins zu überschatten vermochte, obwohl es nur wenige Stunden gedauert hatte. War sein Ärger über den Werkmeister in dem Schalthaus noch recht heftig gewesen, so verflog er schon beim Abschied in der Dunkelheit, und jetzt hegte Stefan nur noch Groll gegen sich selbst, weil er sich so dumm benommen hatte. Aber was hätte er anderes tun sollen als naive Fragen stellen? Wie ein Kind eben, das die Beschäftigungen der Erwachsenen zu enträtseln versucht. Während er sich der Illusion hingab, in die erste Stufe des Mysteriums eingeweiht worden zu sein, wurde er vor die Tür gesetzt. Einmal wäre er am liebsten umgekehrt und hätte jene drei Männer heimlich durchs Fenster beobachtet. Fertiggebracht hätte er das natürlich nicht, aber der Gedanke allein zeugte von seiner Seelenverfassung. Was sollte in dem Schalthaus schon Besonderes vorgehen, fragte er sich. Der Alte und der Junge würden sich hinlegen, und Woch würde im hellen Lampenlicht zwischen den Apparaturen sitzen, hin und wieder aufstehen, um auf eines der Meßinstrumente zu blicken,etwas auf seinem karierten Bogen eintragen und sich wieder hinsetzen; das war doch alles ziemlich fruchtlos und uninteressant, warum also kehrte sein Denken immer wieder zu dieser schweigsamen, eintönigen Arbeit zurück? Tastend fand er das feuchtkalte Schloß in dem großen Eingangstor, rasselte lange mit dem Schlüssel, durchmaß blindlings den Kalkschotterpfad, der sich schwach von den schwarzen Rasenflächen abhob, und war schließlich in seinem Zimmer. Er kleidete sich rasch aus, ohne Licht zu machen, und schlüpfte unter die Decke. Bei der Berührung mit dem kalten Bettzeug schauderte ihn. Ich werde schwer einschlafen können, dachte er. Und er irrte sich nicht.
    Von allen Leuten, die die Werkstatt seines Vaters betraten, hatten ihn als Knaben am meisten die Schlosser, Dreher und Monteure interessiert, die auf Bestellung die Einzelteile für Vaters Mechanismen anfertigten. Zugleich aber empfand er vor ihnen eine gewisse Scheu, waren sie doch anders als seine sonstigen Bekannten. Geduldig, in andächtigem Schweigen hörten sie sich die Weisungen seines Vaters an, nahmen vorsichtig, ja fast ehrerbietig die technischen Zeichnungen in die Hand, aber hinter ihrem taktvollen und höflichen Benehmen spürte man eine Art Reserviertheit, die wie eine undurchdringliche Mauer war. Stefan merkte, daß sein Vater, der bei Tisch gern von den Menschen sprach, mit denen er zusammenkam, nie ein Wort über die Arbeiter fallen ließ, als besäßen sie im Gegensatz zu den Ingenieuren, Anwälten oder Kaufleuten keinerlei persönliche Merkmale. Hieraus hatte er gefolgert, daß ihr Leben – das »wahre Leben«, wie er es zu nennen pflegte – geheimnisumwittert sei. Eine Zeitlang zerbrach er sich den Kopf über dieses rätselhafte »wahre Leben«, bald aber verwarf er diesen Begriff als dumm und vergaß ihn völlig.
    Nun, da er wach lag und in das nächtliche Dunkel starrte,tauchte diese Erinnerung aus der Vergessenheit auf. Diese Kindheitsphantasien hatten also doch einen Sinn gehabt, das wahre Leben gab es bei solchen Menschen wie Woch!
    Während Onkel Ksawery den Atheismus propagierte, Anzelm seine Zwistigkeiten pflegte, der Vater Erfindungen machte und er selbst Philosophen las und mit Sekulowski diskutierte, während er monatelang las und redete, um das »wahre Leben« zu ergründen, war es dieses Leben hier, das ihre ganze Welt aufrechterhielt, sie, dem Atlas gleich, stützte, das unauffällig wie der Boden unter den Füßen war … Anfangs schien Stefan seine Idee übertrieben; denn es bestehe doch, so meinte er, ein Austausch der Leistungen und eine wechselseitige gesellschaftliche Abhängigkeit. Anzelm zum Beispiel sei ein guter Landwirt, Sekulowski schreibe, er selbst und Onkel Ksawery seien Ärzte … Gleich darauf aber mußte er sich sagen, daß die Welt fast unverändert bleiben würde, wenn sie alle verschwänden, daß sie hingegen ohne Woch und seinesgleichen nicht existieren könnte.
    Stefan drehte sich auf die andere Seite und knipste, er wußte selbst

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