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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sind lebenslänglich festgeschraubt.« Es würde Vaters Hotel sein - ob in Dairy oder in Wien. Würde nichts uns jemals exotischer oder weniger exotisch machen? fragte ich mich, während ich die Hantel wunderbar stramm nach oben drückte und Franny aus dem Augenwinkel beobachtete.
    »Wenn du doch nur mit deinen Hanteln in einen anderen Raum gehen würdest«, sagte Franny. »Dann könnte ich mich wenigstens ab und zu allein anziehen, Himmel nochmal.«
    »Was hältst denn du davon, daß wir nach Wien gehen, Franny?« fragte ich sie.
    »Ich glaube, es ist kultivierter, als hierzubleiben«, sagte Franny. Inzwischen war sie völlig angezogen und blickte auf ihre dreiste Art zu mir herunter, während ich mich bemühte, die Hantel langsam und waagrecht abzusetzen. »Vielleicht krieg ich dort sogar ein Zimmer ohne Hanteln«, fügte sie hinzu. »Vielleicht sogar eins ohne einen Gewichtheber«, sagte Franny und blies dann flink in die Achselhöhle meines linken (und schwächeren) Armes - und wich aus, als die Gewichte zuerst vom linken und dann vom rechten Ende der Stange rutschten.
    »Jessas Gott!« rief Vater zu mir herauf, und ich mußte daran denken, daß Iowa-Bob - wäre er noch unter uns gewesen - Franny nicht recht gegeben hätte. Ob Wien nun kultivierter oder weniger kultiviert war - ob Franny nun ein Zimmer mit Hanteln oder ein Zimmer mit Spitzenvorhängen hatte - wir bewohnten jedenfalls ein Hotel New Hampshire nach dem anderen.
    Freuds Hotel - oder unsere per Luftpost vermittelte unvollkommene Vorstellung von Freuds Hotel - nannte sich Gasthaus Freud; aus Freuds Briefen ging nicht hervor, ob der andere Freud je dort gewohnt hatte. Wir erfuhren von Freud nur, daß es »zentral gelegen« war - »im Ersten Bezirk!« -, aber auf der völlig grauen Schwarzweißfotografie, die Freud uns schickte, konnten wir kaum die eiserne Doppeltür erkennen, die von Schaufenstern eingerahmt war. Konditorei verkündete ein Schild, Zuckerwaren ein anderes, und Schokoladen versprach ein drittes; und darüber - größer als der verblaßte Schriftzug Gasthaus Freud - stand das Wort Bonbons.
    »Was?« sagte Egg.
    »Bonbons«, sagte Franny. »O Mann.«
    »Welche Tür gehört zur Konditorei, und welche gehört zum Hotel?« fragte Frank; Frank dachte immer wie ein Türsteher.
    »Ich glaube, das kann man nur wissen, wenn man dort wohnt«, sagte Franny.
    Lilly holte eine Lupe und entzifferte den Namen der Straße, der in einer komischen Schrift unter der Hausnummer an der Doppeltür des Hotels stand.
    »Kruger straße«, entschied sie schließlich, und das stimmte zumindest mit dem Straßennamen in Freuds Adresse überein. Vater kaufte in einem Reisebüro eine Straßenkarte von Wien, und wir fanden die Krugerstraße - im Ersten Bezirk, wie Freud versprochen hatte; es schien eine sehr zentrale Lage.
    »Bis zur Oper sind es nur ein, zwei Straßen!« rief Frank begeistert.
    »O Mann«, sagte Franny.
    Auf der Karte gab es kleine grüne Flächen für Parks, dünne rote und blaue Linien, wo die Straßenbahnen liefen, und reich verzierte Gebäude - in einem grotesken Mißverhältnis zur Größe der Straßen - zur Kennzeichnung der Sehenswürdigkeiten.
    »Sieht aus wie eine Art Monopoly«, sagte Lilly.
    Wir entdeckten Kirchen, Museen, das Rathaus, die Universität, das Parlament.
    »Ich möchte bloß wissen, wo sich da die Banden rumtreiben«, sagte Junior Jones, der sich mit uns die Straßen ansah.
    »Die Banden?« sagte Egg. »Die was?«
    »Die schweren Jungs«, sagte Junior Jones. »Die mit den Kanonen und Messern, Mann.«
    »Die Banden«, wiederholte Lilly, und wir starrten auf die Karte, als würden die Straßen uns verraten, wo sie am dunkelsten und verruchtesten waren.
    »Das hier ist Europa«, sagte Frank angewidert. »Vielleicht gibt es da keine Banden.«
    »Es ist schließlich eine Großstadt, oder?« sagte Junior Jones.
    Doch auf der Karte sah es mir eher nach einer Spielzeugstadt aus - mit hübschen Sehenswürdigkeiten und all den grünen Fleckchen, wo die Natur dem Vergnügen der Menschen untergeordnet worden war.
    »Wahrscheinlich in den Parks«, sagte Franny und biß sich auf die Unterlippe. »Die Banden treiben sich in den Parks rum.«
    »Scheiße«, sagte ich.
    »Es gibt keine Banden!« rief Frank. »Musik gibt es! Und feines Gebäck! Und die Leute verbeugen sich dauernd, und sie tragen ganz andere Kleider!« Wir starrten ihn an, aber wir wußten, daß er schon einiges über Wien gelesen hatte; er hatte sich vor uns an die Bücher

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