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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zurück nur noch deutsch miteinander zu reden. Es würde schließlich schon bald unsere neue Sprache sein, und wir waren nicht sehr gut. Wir wußten beide, daß wir uns verbessern mußten, wollten wir nicht von Frank abhängig sein.
    Frank machte gerade seine Leichenwagentour durch die Bäume, als wir in den Elliot Park zurückkamen. »Wie wär's mit einer Fahrstunde?« fragte er Franny. Sie zuckte mit den Achseln, und Mutter schickte sie beide zum Einkaufen - Franny übernahm das Steuer, und Frank saß betend und bangend neben ihr.
    Als ich an dem Abend schlafen ging, hatte mir Egg Kummer ins Bett gelegt - und ihm meine Sportsachen angezogen. Bis ich Kummer - und Kummers Haare - aus meinem Bett geschafft hatte, war ich wieder hellwach. Ich ging hinunter ins Restaurant, um in der Bar noch eine Weile zu lesen. Max Urick saß auf einem der festgeschraubten Stühle und hatte einen Drink vor sich.
    »Wie viele Nummern hat der alte Schnitzler mit dieser Jeanette Dingsbums geschafft?« fragte mich Max.
    »Vierhundertundvierundsechzig«, sagte ich.
    »Wenn das nichts ist!« rief er.
    Als Max schlafen ging und die Treppen raufstolperte, saß ich noch da und hörte zu, wie Mrs. Urick einige Töpfe wegräumte. Von Ronda Ray war nichts zu sehen; sie war ausgegangen - oder vielleicht war sie auch da; es spielte kaum eine Rolle. Zum Laufen war es zu dunkel - und da Franny schon schlief, konnte ich auch kein Gewichttraining machen. Kummer hatte mir für eine Weile das Bett verdorben, und so versuchte ich einfach zu lesen. Es war ein Buch über die große Grippewelle von 1918 - über all die berühmten und unberühmten Leute, die ihr zum Opfer fielen. Es schien eine besonders traurige Zeit in Wien gewesen zu sein. Gustav Klimt, der einmal seine eigene Arbeit als »Schweinsdreck« bezeichnet hatte, starb; er war Schieles Lehrer gewesen. Schieles Frau starb - sie heiß Edith -, und dann starb auch Schiele selbst, als er noch sehr jung war. Ich las ein ganzes Kapitel, das davon handelte, was für Bilder Schiele hätte malen können, wenn die Grippe ihn nicht niedergestreckt hätte. Ich bekam den ziemlich verschwommenen Eindruck, daß das ganze Buch davon handelte, was aus Wien hätte werden können, wenn die Grippe nicht die Stadt überfallen hätte, doch dann weckte Lilly mich auf.
    »Warum schläfst du nicht in deinem Zimmer?« fragte sie. Ich erklärte ihr die Sache mit Kummer.
    »Ich kann nicht schlafen, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie mein Zimmer da drüben sein wird«, erklärte Lilly. Ich erzählte ihr von der Grippeepidemie im Jahr 1918, aber es interessierte sie nicht. »Ich mache mir Sorgen«, gab Lilly zu. »Ich mache mir Sorgen wegen der Gewalt.«
    »Welcher Gewalt denn?« fragte ich sie.
    »Der Gewalt in Freuds Hotel«, sagte Lilly.
    »Warum, Lilly?« fragte ich.
    »Sex und Gewalt«, sagte Lilly.
    »Du meinst die Huren?« fragte ich sie.
    »Ich meine ihr Klima«, sagte Lilly, die hübsch auf einem der festgeschraubten Stühle saß und sich leicht hin und her wiegte - natürlich ohne mit den Füßen den Boden zu berühren.
    »Das Klima von Huren?« sagte ich.
    »Das Klima von Sex und Gewalt«, sagte Lilly. »Danach hört sich das alles an. Die ganze Stadt«, sagte sie. »Denk nur an Rudolf - wie er erst seine Freundin umbrachte und dann sich selbst.«
    »Das war im letzten Jahrhundert, Lilly«, erinnerte ich sie.
    »Und der Mann, der diese Frau vierhundertundvierundsechzigmal gefickt hat«, sagte Lilly.
    »Schnitzler«, sagte ich. »Fast schon ein Jahrhundert her, Lilly.«
    »Heute ist es wahrscheinlich noch schlimmer«, sagte Lilly. »Wie mit den meisten Dingen.«
    Das mußte ihr Frank gesagt haben, da war ich sicher.
    »Und die Grippe«, sagte Lilly, »und die Kriege. Und die Ungarn«, sagte sie.
    »Der Aufstand?« fragte ich sie. »Das war letztes Jahr, Lilly.«
    »Und die ganzen Vergewaltigungen im russischen Sektor«, sagte Lilly. »Sie werden Franny wieder vergewaltigen. Oder mich«, sagte sie und fügte hinzu: »Wenn mich einer erwischt, der klein genug ist.«
    »Die Besatzungszeit ist vorbei«, sagte ich.
    »Ein Klima der Gewalt«, wiederholte Lilly. »Die ganze verdrängte Sexualität.«
    »Das ist der andere Freud, Lilly«, sagte ich.
    »Und was tut eigentlich der Bär?« fragte Lilly. »Ein Hotel mit Huren und Bären und Spionen.«
    »Es sind keine Spione, Lilly«, sagte ich. Ich wußte, sie meinte die Leute von den Ost-West-Beziehungen. »Ich glaube, es sind nur Intellektuelle«, erzählte ich ihr, aber

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