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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Außerdem«, sagte sie mit einem großen Seufzer - und sie machte eine Pause. »Außerdem«, sagte sie, »habe ich zwar nicht gerade eine Menge Erfahrung, aber ich habe den Eindruck, wenn einer oder wenn bestimmte Leute dich mal gehabt haben, dann hörst du nie wieder von ihnen.«
    Jetzt konnte sie doch wohl nur von ihrer Vergewaltigung reden; ich war verwirrt. Ich sagte: »Von wem sprichst du denn, Franny?« Und sie biß sich eine Weile auf die Unterlippe.
    Dann sagte sie: »Es überrascht mich, daß ich kein Wort - nicht ein einziges Wort - von Chipper Dove gehört habe. Kannst du dir das vorstellen?« fragte sie. »In dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Wort.«
    Nun war ich wirklich verwirrt; ich fand es erstaunlich, daß sie glauben konnte, sie würde jemals wieder von ihm hören. Mir fiel darauf keine Antwort ein, bloß ein blöder Witz, und so sagte ich: »Na ja, Franny, du hast ihm wohl auch nicht geschrieben.«
    »Zweimal«, sagte Franny. »Ich finde, das ist genug.«
    »Genug?« schrie ich. »Warum hast du dem Ficker überhaupt geschrieben?« brüllte ich.
    Sie sah überrascht aus. »Nur so, um ihm zu sagen, wie's mir geht und was ich so treibe«, sagte sie. Ich konnte sie nur anstarren, und sie blickte weg. »Ich war in ihn verliebt, John«, flüsterte sie.
    »Chipper Dove hat dich vergewaltigt, Franny«, sagte ich.
    »Dove und Chester Pulaski und Lenny Metz - das war ein Bandenstich.«
    »Das brauchst du mir nicht zu sagen«, fuhr sie mich an. »Ich rede von Chipper Dove«, sagte sie. »Nur von ihm.«
    »Er hat dich vergewaltigt«, sagte ich.
    »Ich war in ihn verliebt«, sagte sie und kehrte mir immer noch den Rücken zu. »Verstehst du denn nicht? Ich war verliebt - und vielleicht bin ich es immer noch«, sagte sie. »Na«, fügte sie forsch hinzu, »möchtest du das Junior erzählen? Meinst du, ich sollte es Junior erzählen?« fragte sie. »Wär da Junior nicht hell begeistert?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Nein, das fand ich auch«, sagte Franny. »Und da dachte ich eben, ich würde - unter den Umständen - lieber nicht mit ihm schlafen. Okay?« fragte sie.
    »Okay«, sagte ich, aber ich wollte ihr sagen, daß Chipper Dove sie bestimmt nicht geliebt hatte.
    »Du brauchst mir nichts zu erzählen«, sagte Franny. »Du brauchst mir nicht zu erzählen, er habe mich nicht geliebt. Ich glaube, das weiß ich selber. Aber weißt du was?« fragte sie mich. »Eines Tages«, sagte Franny, »wird sich Chipper Dove vielleicht in mich verlieben. Und weißt du was?« fragte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Wenn das geschieht, wenn er sich in mich verliebt«, sagte Franny, »dann könnte es sein, daß ich ihn nicht mehr liebe. Und dann hab ich ihn wirklich am Wickel, stimmt's?« fragte sie mich. Ich starrte sie nur an; sie war, wie Junior Jones bemerkt hatte, schon sehr weit für ihr Alter.
    Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß wir alle nicht früh genug nach Wien kommen konnten - daß wir alle Zeit brauchten, um älter zu werden, und weiser (falls das wirklich zum Älterwerden gehörte). Ich wußte, daß ich die Chance haben wollte, mit Franny gleichzuziehen, auch wenn ich sie nie überholen würde, und ich hatte das Gefühl, daß ich dafür ein neues Hotel brauchte.
    Plötzlich ging es mir durch den Kopf, daß Franny möglicherweise ganz ähnlich über Wien dachte: daß sie Wien nützen wollte - um schlauer und abgebrühter und (irgendwie) erwachsen genug für diese Welt zu werden, die wir beide nicht verstanden.
    »Bleib immer weg von offenen Fenstern«, war alles, was ich ihr im Augenblick sagen konnte. Wir blickten auf den stoppligen Rasen auf dem Trainingsplatz und wußten, daß er im Herbst überall von Stollenschuhen durchlöchert würde, aufgewühlt von stürzenden Knien und Halt suchenden Fingern - und daß wir in diesem Herbst nicht in Dairy sein würden, um hinzusehen oder wegzublicken. An einem anderen Ort würde sich all das - oder ähnliches - auch für uns abspielen, und wir würden zuschauen oder daran teilnehmen, was immer es war.
    Ich nahm Frannys Hand, und wir gingen den Weg entlang, den die Footballspieler immer benutzten, und blieben nur kurz an der Abzweigung stehen, die uns im Gedächtnis geblieben war - an dem Weg in den Wald und zu den Farnen; wir brauchten sie uns nicht anzusehen. »Wiedersehen«, flüsterte Franny in die Richtung des heiligen und unheiligen Ortes; ich drückte ihre Hand - sie drückte zurück, dann ließ sie los - und wir versuchten den ganzen Weg zum Hotel New Hampshire

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