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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sinne zu beeinflussen, nachließ. Wir verteilten die Gewichte, so gut es ging. Ich nahm fünfundsiebzig Kilo und verteilte sie auf die zwei Kurzhanteln und nahm eine in jede Hand. Vater und Frank und Susie der Bär mühten sich mit der langen Hantel und den anderen fünfundsiebzig Kilo ab. Franny hielt Türen auf und machte den Gehweg frei, und Lilly hatte Freud am Arm; für den Rückweg übernahm sie die Rolle des Blindenbären.
    »Jessas Gott«, sagte Vater, als sie uns nicht in die Straßenbahn ließen.
    »Sie ließen uns mit der Straßenbahn hier rausfahren!« sagte Franny.
    »Was sie stört, ist nicht der Bär«, sagte Freud. »Es ist die lange Hantel.«
    »Es sieht gefährlich aus, wie ihr das Ding transportiert«, sagte Franny zu Frank, Susie und Vater.
    »Wenn du regelmäßig mit den Gewichten gearbeitet hättest, so wie Iowa-Bob«, sagte ich Vater, »dann könntest du es allein tragen. Dann würde es nicht so schwer aussehen bei dir.«
    Lilly hatte bemerkt, daß die Österreicher zwar Bären in die Straßenbahn ließen, aber keine Hanteln; sie bemerkte außerdem, daß die Österreicher bei Skiern recht großzügig waren. Sie schlug vor, für die lange Hantel einen Skisack zu kaufen; dann würde der Straßenbahnschaffner glauben, die Hantel sei nur ein sehr schweres Paar Ski.
    Frank schlug vor, jemand solle Schraubenschlüssels Wagen holen.
    »Der läuft doch nie«, sagte Vater.
    »Jetzt muß er eigentlich laufen«, sagte Franny. »Dieses Arschloch fummelt doch schon seit Jahren dran herum.«
    Vater sprang auf die Straßenbahn auf und fuhr heim, um nach dem Wagen zu fragen. Und hätten wir nach dem prompten Nein der Radikalen nicht wissen müssen, daß eine Bombe vor unserem neuen Hotel parkte? Doch wir schrieben das alles nur der Unhöflichkeit der Radikalen zu; wir schleppten die ganzen Gewichte nach Hause. Zuletzt mußte ich die anderen und die Langhantel vor dem Kunsthistorischen Museum zurücklassen. Auch ins Museum ließen sie keine Hantel - sowenig wie einen Bären. »Brueghel hätte nichts dagegen gehabt«, sagte Frank. Aber nun mußten sie an der Straßenecke die Zeit totschlagen. Susie tanzte ein bißchen; Freud trommelte mit seinem Baseballschläger; Lilly und Franny sangen ein amerikanisches Lied - sie nutzten die Zeit, um ein bißchen Geld zu verdienen. Straßenclowns, Wiener Spezialitäten, »die Gegenwart des Mäusekönigs«, wie Frank immer sagte - Frank ließ einen Hut herumgehen. Es war die Busfahrermütze, die Vater, zusammen mit der Uniform, für Frank gekauft hatte - die Mütze, in der Frank aussah wie der Angestellte eines schäbigen Bestattungsinstituts, wenn er im Hotel New Hampshire den Türsteher spielte. In Wien trug Frank sie die ganze Zeit - unser falscher Mäusekönig, Frank. Wir alle dachten oft an den traurigen Gaukler mit seinen unerwünschten Nagetieren, der eines Tages nicht mehr von den offenen Fenstern wegbleiben wollte, der eines Tages sprang und seine armen Mäuse mit sich nahm. Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst! Das war's, was er zu sagen hatte; die offenen Fenster, von denen er so lange weggeblieben war - zum Schluß erlag er ihnen doch.
    Ich trabte mit den 75 Kilo nach Hause.
    »Hi, Wrench«, sagte ich zu dem Radikalen unter dem Wagen.
    Ich lief zurück zum Kunsthistorischen Museum und trabte diesmal mit 75 Pfund nach Hause, und die restlichen 75 Pfund brachten Vater, Frank, Susie der Bär, Franny, Lilly und Freud nach Hause. Nun hatte ich also wieder Gewichte, nun konnte ich das erste Hotel New Hampshire - und Iowa-Bob - heraufbeschwören, und die Fremdheit Wiens verlor sich ein wenig.
    Wir mußten natürlich zur Schule gehen. Es war eine amerikanische Schule in der Nähe des Tiergartens in Hietzing, nicht weit vom Schloß Schönbrunn. Eine Zeitlang begleitete uns Susie jeden Morgen in der Straßenbahn und holte uns nach der Schule wieder ab. Das war eine tolle Einführung bei den anderen Schülern - von einem Bären abgeliefert und dann wieder abgeholt zu werden. Aber Vater oder Freud mußten Susie begleiten, da Bären nicht allein Straßenbahn fahren durften; und weil die Schule in der Nähe des Zoos lag, reagierten die Leute dort draußen auf den Anblick eines Bären nervöser als die Leute in der Innenstadt.
    Mir ging erst später auf, was für einen schlechten Dienst wir Frank damit erwiesen, daß wir seine Zurückhaltung in sexuellen Dingen nicht ausdrücklich anerkannten. Während der sieben Jahre in Wien wußten wir nie, wer seine Freunde waren; er

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