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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sagte uns nur, es seien andere Jungen von der amerikanischen Schule - und da er der älteste von uns war und den anspruchsvollsten Deutschkurs besuchte, war Frank oft am längsten in der Schule, allein. Das Übermaß an Sex aus nächster Nähe im zweiten Hotel New Hampshire muß Frank auf ganz ähnliche Weise zur Zurückhaltung bewegt haben, wie mich die Sprechanlage bei meinem ersten Zusammensein mit Ronda Ray zum überzeugten Flüsterer machte. Und Franny hatte im Moment ihren Bären - und ihre Vergewaltigung zu überwinden, wie mir Susie immer wieder sagte.
    »Sie ist drüber weg«, sagte ich.
    »Du aber nicht«, sagte Susie. »Du hast immer noch Chipper Dove im Kopf. Und Franny geht's genauso.«
    »Dann ist es eben Chipper Dove, über den sie noch nicht weg ist«, sagte ich. »Die Vergewaltigung ist vorbei.«
    »Wir werden ja sehen«, sagte Susie. »Ich bin ein schlauer Bär.«
    Und die ängstlichen Seelen kamen nach wie vor, wenn auch nicht in überwältigenden Massen; eine überwältigende Masse ängstlicher Seelen wäre wahrscheinlich ein Widerspruch in sich gewesen - doch wir hätten die Massen brauchen können. Trotzdem hatten wir eine bessere Gästeliste als damals im ersten Hotel New Hampshire.
    Die Reisegruppen waren weniger problematisch als die Einzelreisenden. Irgendwie sind ängstliche Seelen einzeln viel ängstlicher als in Gruppen. Die ängstlichen Seelen, die allein reisten, oder die ängstlichen Ehepaare, manchmal mit ängstlichen Kindern - sie schienen sich am leichtesten verstören zu lassen von all den Tages- und Nachtaktivitäten, zwischen denen sie beunruhigte Gäste waren. Doch in den ersten drei oder vier Jahren im zweiten Hotel New Hampshire gab es nur einen einzigen Gast, der sich tatsächlich beschwerte - das zeigt, wie ängstlich diese ängstlichen Seelen wirklich waren.
    Es war eine Amerikanerin, die sich beschwerte. Sie reiste mit ihrem Mann und ihrer Tochter, die etwa in Lillys Alter war. Sie stammten aus New Hampshire, aber nicht aus dem Teil des Staates, in dem Dairy liegt. Frank machte Dienst am Empfang, als sie ankamen - am späten Nachmittag, nach der Schule. Augenblicklich, bemerkte Frank, begann die Frau herumzuschreien, sie vermisse etwas von der »sauberen, schlichten, guten alten Anständigkeit«, die sie offenbar mit New Hampshire verband.
    »Es ist die alte ›Schlicht-aber-gut‹-Kacke«, sagte Franny, an Mrs. Urick erinnernd.
    »In ganz Europa haben sie uns ausgeplündert«, sagte der Ehemann der New-Hampshire-Frau zu Frank.
    Ernst war in der Lobby und erklärte Franny und mir gerade ein paar der seltsameren Stellungen bei der »tantrischen Vereinigung«. Auf deutsch war das ziemlich schwer zu verstehen, aber wenn Franny und ich auch nie an Franks Deutschkenntnisse herankamen - während Lilly sich schon nach einem Jahr fast so gut auf deutsch unterhalten konnte wie Frank -, lernten Franny und ich an der amerikanischen Schule eine ganze Menge. Natürlich lehrten sie dort nicht den Koitus. Das war Ernsts Spezialität, und obwohl ich bei Ernst immer eine Gänsehaut bekam, hielt ich es nicht aus, ihn allein mit Franny reden zu sehen; ich versuchte dann jedesmal mitzuhören. Susie der Bär hörte auch gern mit - wobei sie dann meine Schwester irgendwo anfaßte, mit einer schönen großen Pfote, die Ernst sehen konnte. Doch an dem Tag, als sich die Amerikaner aus New Hampshire einschrieben, war Susie der Bär auf dem WC.
    »Und Haare in den Toiletten«, sagte die Frau zu Frank. »Sie können sich den Dreck gar nicht vorstellen, den man uns schon zugemutet hat.«
    »Wir haben die Reiseführer weggeworfen«, sagte ihr Mann zu Frank. »Man kann sich nicht darauf verlassen.«
    »Wir verlassen uns nur noch auf unseren Instinkt«, sagte die Frau und ließ ihren Blick durch die neue Lobby des Hotels New Hampshire schweifen. »Was wir suchen, ist eine amerikanische Note.«
    »Ich kann es nicht erwarten, heimzukommen«, sagte die Tochter mit einer piepsenden Stimme.
    »Ich kann Ihnen zwei schöne Zimmer im zweiten Stock geben«, sagte Frank; »Tür an Tür«, fügte Frank hinzu. Aber er machte sich Sorgen, ob da nicht die Nutten zu nahe waren - im Stock darunter. »Andererseits«, sagte Frank, »hätten Sie vom dritten Stock eine bessere Aussicht.«
    »Auf die Aussicht pfeifen wir«, sagte die Frau. »Wir nehmen die zwei Zimmer im zweiten. Und zwar ohne Haare«, fügte sie drohend hinzu, gerade als Susie der Bär in die Lobby geschlurft kam; sie sah das kleine Mädchen, warf

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