Das Hotel New Hampshire
Schreibmaschinengeklapper, das irgendwie klang, als werde kurz vor Torschluß noch etwas geschrieben - vielleicht schloß Fehlgeburt gerade ein Manifest ab, oder sie schrieb an ihrer Doktorarbeit über die romantische Idee, die das Herz der amerikanischen Literatur darstellt -, und Arbeiters Geschrei füllte das Treppenhaus.
»Kompromiß!« kreischte Arbeiter. »Du verkörperst nichts so sehr, wie du den Kompromiß verkörperst!«
»Jede Zeit ist ihre eigene Zeit!« brüllte der Alte Billig zurück. Für den Alten Billig war Feierabend; er ging nach Hause. Während ich noch mit dem Gepäck und den Schlüsseln fummelte, kam er im Treppenhaus am zweiten Stock vorbei.
»Du hängst dein Mäntelchen wieder mal nach dem Wind, alter Mann!« schrie Arbeiter - auf deutsch natürlich, und für die Amerikaner, die kein Deutsch verstanden, klang es möglicherweise bedrohlicher, als es wirklich war. Ich fand es ziemlich bedrohlich, und ich verstand es. »Aber eines Tages, alter Mann«, rief Arbeiter hinterher, »wird der Wind dich und dein Mäntelchen wegpusten!«
Der Alte Billig blieb auf dem Treppenabsatz stehen und brüllte zu Arbeiter hinauf:
»Du bist ja wahnsinnig! Du wirst uns alle noch umbringen! Dir fehlt die Geduld!« schrie er.
Und irgendwo zwischen dem zweiten und vierten Stock bewegte sich sanft die schlagobersweiche Figur der guten Schwanger, die die beiden zu beschwichtigen versuchte; sie lief ein paar Stufen zum Alten Billig hinunter und flüsterte mit ihm, lief dann ein paar Stufen zu Arbeiter hinauf - doch mit ihm mußte sie schon etwas lauter sprechen.
»Halt's Maul!« fuhr Arbeiter sie an. »Geh, werd wieder schwanger«, sagte er zu ihr. »Geh, laß nochmal abtreiben. Geh, hol dir Schlagobers«, höhnte er.
»Unmensch!« schrie der Alte Billig; er machte sich wieder auf den Weg nach oben. »Man kann doch wenigstens den Anstand wahren, aber du nicht!« brüllte er nach oben zu Arbeiter. »Du bist nicht mal ein Humanist!«
»Bitte«, beschwichtigte Schwanger. »Bitte, bitte ...«
»Du willst Schlagobers?« donnerte Arbeiter sie an. »Ich will die ganze Kärntnerstraße voll Schlagobers sehen«, sagte er wie ein Wahnsinniger. »Ich will, daß der Verkehr auf dem Ring lahmgelegt wird vor lauter Schlagobers. Schlagobers und Blut«, sagte er. »Das wirst du schon noch zu sehen bekommen: die Straßen werden voll davon sein!« sagte Arbeiter. » Schlagobers und Blut.«
Und ich führte die ängstlichen Amerikaner aus New Hampshire in ihre staubigen Zimmer. Ich wußte, bald würde es dunkel sein, und die lauten Wortgefechte von oben würden aufhören. Und unten würde das Stöhnen losgehen, das Schaukeln der Betten, das ständige Rauschen der Bidets, das Auf und Ab des Bären bei der Überwachung des ersten Stocks - und Freuds Baseballschläger mit seinem stetigen Pochen von Zimmer zu Zimmer.
Würden die Amerikaner in die Oper gehen? Würden sie in einem Augenblick zurückkommen, wo Jolanta gerade einen tapferen Betrunkenen die Treppen hochschleppte - oder ihn herunterrollte? Würde jemand Babette durchkneten, wie Teig, gleich in der Lobby, wo ich mit der Dunklen Inge Karten spielte und ihr von Junior Jones' Heldentaten erzählte? Der Schwarze Arm des Gesetzes machte sie glücklich. Wenn sie »alt genug« sei, sagte sie, werde sie ihr Bündel schnüren und ihren Vater besuchen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie schlecht es den Schwarzen in Amerika ging.
Und wann in der Nacht würde Kreisch-Annies erster getürkter Orgasmus die Tochter aus New Hampshire durch die Verbindungstür ins Zimmer ihrer Eltern scheuchen? Würden sie bis zum Morgen zu dritt in einem Bett kauern - und das müde Feilschen mit der Alten Billig ebenso anhören wie das bösartige Stampfen, mit dem Jolanta jemanden zugrunde richtete?
Kreisch-Annie hatte mir gesagt, was sie mit mir anstellen würde, wenn ich je die Dunkle Inge anfaßte.
»Ich sehe zu, daß die Freier Inge nicht zu nahe kommen«, vertraute sie mir an. »Aber ich will auch nicht, daß sie glaubt, sie sei verliebt oder so was. Ich meine, irgendwie ist das noch schlimmer - ich weiß das. Das macht dich erst recht kaputt. Ich meine, ich laß keinen dafür zahlen - niemals - und genausowenig laß ich zu, daß du dich hintenrum an sie ranmachst, ohne zuzahlen.«
»Sie ist erst so alt wie meine Schwester Lilly«, sagte ich. »Für mich.«
»Wen interessiert schon, wie alt sie ist?« sagte Kreisch-Annie. »Ich behalte dich im Auge.«
»Du bist alt genug, um gelegentlich eine
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