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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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spielt keine Rolle«, wie Frank sagen würde.
    Jedenfalls wurde Franny und mir Jahre danach ›Liebeslisten‹ von der lieben kleinen Lilly zugeschickt, und eines Abends lasen wir es uns übers Telefon laut vor. Ich neigte zum Flüstern, wenn ich einen guten Text vorlas, aber Franny deklamierte laut und deutlich.

Liebeslisten

Doch die Manöver, die vermeiden sollen,
    Daß Hände sich berühren,
    Diese Kniffe, die erreichen sollen, daß die Blicke stets
    An mehr oder weniger neutralen Dingen hängen
    (Wie die Ehre, gegenwärtig, es gebietet),
    Werden ihren Sturz wohl nicht verhindern.
    Stärkere Arzneien werden gebraucht.
    Schon sehen sie ein, es haben
    Ihre Listen allesamt nichts genützt,
    Und hätten auch nichts nützen können, nein,
    Ob ihnen nun die Augen ausgestochen,
    Die Hände oben abgehackt.

    Stärkere Arzneien wurden in der Tat gebraucht. Wären unsere Hände abgehackt worden, hätten Franny und ich einander mit den Stümpfen berührt - mit allem, was uns blieb, ob wir nun blind gewesen wären oder nicht.
    Doch an diesem Nachmittag in ihrem Zimmer wurden wir von Susie dem Bären gerettet.
    »Da ist was im Busch«, sagte Susie, als sie ins Zimmer schlurfte. Franny und ich warteten; wir dachten, sie meine uns - wir dachten, sie wisse Bescheid.
    Lilly wußte natürlich Bescheid. Irgendwie mußte sie es einfach wissen.
    »Schriftsteller wissen alles«, sagte Lilly einmal. »Oder sie sollten jedenfalls alles wissen. Andernfalls sollten sie den Mund halten.«
    »Lilly muß es von Anfang an gewußt haben«, sagte Franny zu mir, während unseres Telephongesprächs an jenem Abend, als wir ›Liebeslisten‹ entdeckten. Die Verbindung war nicht sehr gut, es knackte immer wieder in der Leitung - als ob Lilly uns belauschte. Oder als ob Frank uns belauschte - Frank war, wie ich schon sagte, dazu geboren, die Liebe zu belauschen.
    »Da ist was im Busch, ihr beiden«, wiederholte Susie der Bär drohend. »Sie können Fehlgeburt nicht finden.«
    »Wer sind ›sie‹?« fragte ich.
    »Der Pornokönig und seine ganze verfickte Bande«, sagte Susie. »Die fragen uns, ob wir Fehlgeburt gesehen haben. Und gestern abend haben sie die Nutten gefragt.«
    »Niemand hat sie gesehen?« sagte ich, und da war wieder dieses Gefühl, das mir langsam vertraut wurde: Kälte kroch mir in die Hosenbeine, ein Hauch toter Luft aus der Gruft, in der die herzlosen Habsburger lagen.
    Wie viele Tage hatten wir darauf gewartet, daß Vater und Freud sich einigten, ob sie einen Käufer für das Hotel New Hampshire finden sollten, bevor sie die Möchtegern-Attentäter auffliegen ließen? Und wie viele Nächte hatten wir damit vergeudet, uns zu streiten, ob wir es dem amerikanischen Konsulat oder der Botschaft überlassen sollten, die Polizei zu verständigen - oder ob wir uns einfach selber an die österreichische Polizei wenden sollten? Wenn du in deine Schwester verliebt bist, ist dir der Blick auf die reale Welt ein wenig verstellt.
    Frank fragte mich: »In welchem Stock wohnt Fehlgeburt? Ich meine, du hast doch ihre Bude gesehen. Wie weit oben wohnt sie denn?«
    Lilly, die Schriftstellerin, begriff sofort, was hinter der Frage stand, aber für mich ergab sie keinen Sinn - noch nicht. »Es ist der erste Stock«, sagte ich zu Frank, »nur eine Treppe hoch.«
    »Nicht hoch genug«, sagte Lilly, und da begriff ich. Nicht hoch genug für einen Sprung aus dem Fenster - das meinte sie. Sollte sich Fehlgeburt dazu entschlossen haben, nicht mehr von offenen Fenstern wegzubleiben, mußte sie eine andere Möglichkeit gefunden haben.
    »Das ist es«, sagte Frank und packte meinen Arm. »Wenn sie einen Mäusekönig hingelegt hat, dann ist sie wahrscheinlich noch da.«
    Ich kam ganz schön außer Atem, als ich über den Heldenplatz zum Ring und dann Richtung Rathaus lief; für eine Sprintstrecke ist das lang, aber ich war in Form. Sicher, ich fühlte mich ein wenig außer Atem, aber ich fühlte mich weit mehr als nur ein wenig schuldig - auch wenn es nicht nur um mich gegangen sein konnte; ich konnte nicht der Hauptgrund gewesen sein, weshalb Fehlgeburt nicht mehr von offenen Fenstern wegblieb. Und es gab, wie später zu erfahren war, keine Anzeichen dafür, daß sie noch etwas Besonderes unternommen hatte, nachdem ich weggegangen war. Vielleicht hatte sie noch ein wenig in Moby-Dick gelesen, denn die Polizei war sehr gründlich und hatte sogar die letzte Stelle festgehalten, die sie markiert hatte. Und ich weiß natürlich, daß bei meinem Weggehen die

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