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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stelle, bis zu der sie gelesen hatte, nicht markiert war. Merkwürdigerweise war nun doch die Stelle markiert, an der sie mit dem Vorlesen aufgehört hatte - so als habe sie den Text, den sie mir an dem Abend vorgelesen hatte, für sich noch einmal durchgelesen, bevor sie sich die Politik der offenen Fenster zu eigen machte. Fehlgeburts Variante dieser Politik war ein hübscher kleiner Revolver gewesen, von dem ich nie etwas gewußt hatte. Der Abschiedsbrief war einfach und an niemanden adressiert, aber ich wußte, er galt mir.
    Damals in der Nacht
    hast du nur Schwanger
    gesehen, doch ich war
    auch da. Auch ich habe
    einen Revolver! »So
    regen wir die Ruder ...«
    schloß Fehlgeburt - mit Lillys liebstem Romanschluß.
    Ich selber sah Fehlgeburt nicht mehr. Ich wartete im Gang vor ihrer Tür - auf Frank. Frank war nicht so gut in Form, und es dauerte eine Weile, bis er nachkam und mich an Fehlgeburts Tür traf. Ihr Zimmer hatte einen separaten Eingang, zu erreichen über eine Außentreppe, die von den Leuten in dem alten Mietshaus nur benutzt wurde, wenn sie ihren Müll rausbrachten. Wahrscheinlich dachten sie, der Gestank komme aus irgendeiner Mülltonne. Frank und ich machten ihre Tür gar nicht erst auf. Der Gestank vor der Tür war schon schlimmer, als wir das je bei Kummer erlebt hatten.
    »Ich hab's ja gesagt, ich hab's euch doch gesagt«, wiederholte Vater. »Wir stehen am Wendepunkt. Sind wir bereit?« Wir sahen, daß er wirklich nicht wußte, was tun.
    Frank hatte Lillys Vertrag nach New York zurückgeschickt. Als ihr »Agent«, hatte er gesagt, könne er ein so unverbindliches Angebot nicht akzeptieren, schließlich handle es sich um das Werk eines Genies - »eines gerade erst erblühenden Genies«, wie Frank hinzufügte, obwohl er Wachstumsversuche gar nicht gelesen hatte; noch nicht. Frank wies darauf hin, daß Lilly erst achtzehn war. »Sie hat noch eine Menge zu wachsen«, schloß er. Man könne jedem Verleger nur raten, das gewaltige literarische Gebäude, das Lilly (laut Frank) errichten würde, zu betreten - und zwar »durch das Erdgeschoß«.
    Frank verlangte fünfzehntausend Dollar - und das Versprechen, daß der Verlag weitere fünfzehntausend Dollar in die Werbung steckte. »Wir wollen doch nicht, daß kleinliche Sparmaßnahmen unsere Zusammenarbeit stören«, erklärte Frank.
    »Wenn wir schon wissen, daß Fehlgeburt tot ist«, überlegte Franny, »dann wissen es auch bald die Radikalen.«
    »Einmal schnuppern genügt«, sagte Frank, aber ich hielt mich zurück.
    »Ich habe fast schon einen Käufer«, sagte Freud.
    »Jemand will das Hotel?« fragte Franny.
    »Sie wollen Büros daraus machen«, sagte Freud.
    »Aber Fehlgeburt ist tot«, sagte Vater. »Jetzt müssen wir zur Polizei - wir müssen ihnen alles sagen.«
    »Noch heute abend«, sagte Frank.
    »Erzählt's den Amerikanern«, sagte Freud, »und erzählt es ihnen morgen. Heute abend erzählen wir's den Nutten.«
    »Ja, warnen wir erst mal die Nutten«, stimmte Vater zu.
    »Und morgen«, sagte Frank, »gehen wir ganz früh zum amerikanischen Konsulat - oder zur Botschaft. Wer ist da eigentlich zuständig?«
    Mir wurde klar, daß ich nicht wußte, was nun für was oder wer für wen da war. Und wir merkten, daß es auch Vater nicht wußte. »Nun, wir sind schließlich mehrere«, sagte Vater belemmert. »Einige von uns können dem Konsulat Bescheid sagen und einige dem Botschafter.« In dem Augenblick war es für mich offenkundig, wie wenig wir alle von dem erlernt hatten, was zu einem Leben in Übersee gehört: wir wußten nicht einmal, ob die amerikanische Botschaft und das amerikanische Konsulat in demselben Gebäude untergebracht waren - vielleicht war es auch ein und dasselbe, wir wußten es nicht. Da wurde mir auch klar, was in den sieben Jahren mit Vater passiert war: er hatte die Entschiedenheit eingebüßt, die er an jenem Abend in Dairy in New Hampshire besessen haben mußte, als er meine Mutter zu einem Spaziergang im Elliot Park überredete und sie dann mit seiner Vision vom Thompson Female Seminary als einem künftigen Hotel völlig einwickelte. Zuerst hatte er Earl verloren - dem er seine Ausbildung verdankte. Und als er Iowa-Bob verlor, verlor er auch Iowa-Bobs Instinkte. Iowa-Bob hatte in langjährigem Training gelernt, sich sofort auf jeden freien Ball zu stürzen - ein wertvoller Instinkt, besonders im Hotelgeschäft. Und nun konnte ich sehen, was Vater in seinem Kummer verloren hatte.
    »Die Tassen im Schrank«, sagte Franny

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