Das Hotel New Hampshire
eine neue Bewegung bemuttern.
»Du mußt das nicht tun, Freud«, flüsterte mein Vater.
» Natürlich muß ich es tun, Win Berry!« sagte Freud heiter. Er stand auf; er ließ den Baseballschläger über den Boden tänzeln und ging auf die Tür zu. Er fand sich recht gut zurecht, wenn man bedenkt, daß er sich in völliger Dunkelheit bewegte.
»Setz dich, du alter Trottel«, wies Arbeiter ihn an. »Wir haben noch zehn Minuten Zeit. Vergiß nicht, aus dem Wagen auszusteigen, du Idiot«, sagte Arbeiter zu Schraubenschlüssel, doch der starrte immer noch auf den toten Spielmacher am Boden. Auch ich starrte auf ihn. Zehn Minuten lang. Mir wurde klar, was ein Terrorist ist. Ein Terrorist ist, glaube ich, einfach eine andere Art von Pornograph. Der Pornograph tut so, als sei ihm seine Arbeit zuwider; der Terrorist tut so, als interessiere ihn das Mittel nicht. Der Zweck, sagen sie, sei das einzige, woran ihnen liege. Aber sie lügen beide. Ernst liebte seine Pornographie; Ernst vergötterte das Mittel. Es ist nie der Zweck, der zählt - es zählt immer nur das Mittel. Der Terrorist und der Pornograph sind eben wegen des Mittels dabei. Das Mittel bedeutet ihnen alles. Die Bombenexplosion, die Elefantenstellung, Schlagobers und Blut - sie lieben das alles. Ihre intellektuelle Gleichgültigkeit ist ein Schwindel, sie ist nur vorgetäuscht. Wenn sie von »höheren Zwecken« reden, dann lügen sie beide. Ein Terrorist ist ein Pornograph.
Zehn Minuten lang versuchte Frank, Arbeiter umzustimmen, aber Arbeiter hatte ein so dickes Brett vor dem Kopf, daß Frank nicht durchdrang. Ich glaube, Frank verwirrte Arbeiter nur noch mehr.
Ich weiß jedenfalls, daß Frank mich verwirrte.
»Weißt du, was es heute abend an der Oper gibt, Arbeiter?« fragte Frank.
»Musik«, sagte Arbeiter, »Musik und Gesang.«
»Aber es kommt darauf an - welche Oper sie geben«, log Frank. »Ich meine, die Vorstellung heute abend wird bei weitem nicht ausverkauft sein - das ist dir hoffentlich klar. Es ist keine dieser Vorstellungen, zu denen die Wiener in Scharen kommen. Es ist kein Mozart oder Strauß. Es ist nicht mal ein Wagner«, sagte Frank.
»Das ist mir gleich«, sagte Arbeiter. »Die vorderen Reihen werden besetzt sein. Die vorderen Reihen sind immer besetzt. Und die blöden Sänger werden auf der Bühne sein. Und das Orchester muß auch immer antreten.«
»Sie geben die Lucia«, sagte Frank. »Praktisch vor leerem Haus. Man braucht kein Wagnerianer zu sein, um zu wissen, daß es sich nicht lohnt, Donizetti anzuhören. Ich gebe zu, ich bin so etwas wie ein Wagnerianer«, gab Frank zu, »aber man braucht die germanische Einschätzung der italienischen Oper gar nicht zu teilen, um zu wissen, daß Donizetti einfach abgeschmackt ist. Altbackene Harmonien, keine der Musik adäquate Dramatik«, sagte Frank.
»Maul halten«, sagte Arbeiter.
»Leierkasten-Melodien!« sagte Frank. »Mein Gott, da muß man sich ja fragen, ob überhaupt jemand kommt.«
»Die kommen schon«, sagte Arbeiter.
»Es wäre besser, auf einen großen Knüller zu warten«, sagte Frank. »Jagt das Ding an einem anderen Abend in die Luft. Wartet auf eine wichtige Oper. Wenn ihr Lucia hochgehen laßt«, argumentierte Frank, »werden euch die Wiener applaudieren! Sie werden glauben, ihr hättet es auf Donizetti abgesehen, oder besser noch: auf die ganze italienische Oper! Du wirst eine Art Kulturheld sein«, setzte Frank ihm auseinander, »und nicht der Bösewicht, der du doch sein willst.«
»Und wenn ihr euer Publikum bekommt«, sagte Susie der Bär zu Arbeiter, »wer soll dann für euch sprechen?«
»Euer Sprecher ist tot«, sagte Franny zu Arbeiter.
»Du glaubst doch wohl nicht, daß du ein Publikum fesseln kannst, was, Arbeiter?« fragte ihn Susie der Bär.
»Halt's Maul«, sagte Arbeiter. »Es wäre ja auch möglich, bei Freud im Wagen einen Bären mitfahren zu lassen. Jeder weiß, daß Freud einen Bärentick hat. Eigentlich eine gute Idee, einen Bären mitfahren zu lassen - auf Freuds letzter Fahrt.«
»Am Plan wird jetzt nichts mehr geändert«, sagte Schraubenschlüssel nervös. »Alles nach Plan«, sagte er mit einem Blick auf seine Uhr. »Es sind jetzt noch zwei Minuten.«
»Dann geh jetzt«, sagte Arbeiter. »Es wird eine Weile dauern, bis der Blinde zur Tür raus ist und im Wagen sitzt.«
»Von wegen!« rief Freud. »Ich kenne den Weg! Es ist mein Hotel; ich weiß, wo die Tür ist«, sagte der alte Mann und humpelte mit seinem Baseballschläger auf die Tür
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