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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu Boden; nachdem der Kopf gegen den Boden gekracht war, schien eine volle Sekunde zu vergehen, ehe der ganze Körper Ernsts dalag. Zwischen seinen Augen wuchs eine purpurrote Beule zur Größe eines Baseballs, und aus dem einen Ohr rann Blut, als sei etwas Lebenswichtiges, aber Kleines - wie sein Gehirn, wie sein Herz - in seinem Innern explodiert. Seine Augen waren weit geöffnet, und wir wußten, daß Ernst der Pornograph nun soviel sehen konnte wie Freud. Ein einziger flinker Keulenschlag hatte ihn aus dem offenen Fenster befördert.
    »Ist er tot?« schrie Freud; ich glaube, ohne Freuds Schrei hätte Arbeiter abgedrückt und meinen Vater getötet; Freuds Aufschrei schien Arbeiters schwerfälligen Gedanken eine neue Richtung zu geben. Er stieß die Revolvermündung meiner kleinen Schwester Lilly ins Ohr; Lilly zitterte - es gab nichts mehr, was sie hätte erbrechen können.
    »Bitte tu's nicht«, flüsterte Franny Arbeiter zu. Vater hielt den Baseballschläger fest umklammert, aber er hielt ihn still. Arbeiter hatte jetzt die große Waffe, und mein Vater mußte den richtigen Augenblick abwarten.
    »Alles ruhig bleiben«, sagte Arbeiter. Schraubenschlüssel konnte den Blick nicht von dem purpurroten Baseball auf Ernsts Stirn lassen, aber Schwanger lächelte weiter - sie hatte für jeden ein Lächeln.
    »Ruhig, ruhig«, flötete sie. »Wir wollen ruhig bleiben.«
    »Und was macht ihr jetzt?« wandte sich Vater an Arbeiter, ganz ruhig. Er fragte ihn auf englisch; Frank mußte übersetzen.
    Die nächsten paar Minuten hatte Frank viel Arbeit als Dolmetscher, denn Vater wollte alles wissen, was vor sich ging. Er war ein Held; er war an der Bootsanlegestelle des alten Arbuthnot-by-the-Sea, nur daß diesmal er der Mann in der weißen Smokingjacke war - er hatte das Kommando übernommen.
    »Gib Freud den Schläger zurück«, sagte Arbeiter zu meinem Vater.
    »Freud braucht seinen Schläger wieder«, sagte Schwanger einfältig zu meinem Vater.
    »Gib den Schläger wieder her, Pop«, sagte Frank.
    Vater gab Freud die Louisville-Keule zurück und setzte sich neben ihn; er legte Freud einen Arm um die Schulter und sagte zu ihm: »Du brauchst diesen Wagen nicht zu fahren.«
    »Schraubenschlüssel«, sagte Schwanger. »Du machst alles so, wie wir es geplant haben. Geh jetzt und nimm Freud mit«, sagte sie.
    »Aber ich bin nicht in der Oper!« sagte Arbeiter verzweifelt. »Ich bin noch nicht dort - um zu sehen, ob Pause ist, oder um sicherzugehen, daß sie nicht in der Pause sind. Schraubenschlüssel muß mich aus der Oper kommen sehen, damit er weiß, es ist alles in Ordnung, der Zeitpunkt ist gut.«
    Die Radikalen starrten auf ihren toten Anführer, als werde der ihnen sagen, was zu tun sei; sie brauchten ihn.
    »Du gehst zur Oper«, sagte Arbeiter zu Schwanger. »Ich kann besser mit dem Revolver umgehen«, sagte er. »Ich bleibe hier, und du gehst zur Oper«, riet ihr Arbeiter. »Wenn du dich überzeugt hast, daß die nicht Pause machen, kommst du aus der Oper, und zwar so, daß Schraubenschlüssel dich sehen kann.«
    »Aber ich bin nicht angezogen für die Oper«, sagte Schwanger. »Du bist dafür angezogen«, sagte sie zu Arbeiter.
    »Du brauchst nicht dafür angezogen zu sein, um jemand fragen zu können, ob Pause ist!« brüllte Arbeiter sie an. »Du bist gut genug gekleidet, um zur Tür reinzukommen, und du kannst selber nachsehen, ob Pause ist. Du bist nur eine alte Dame - niemand macht einer alten Dame Schwierigkeiten wegen ihrer Kleidung, Herrgott nochmal.«
    »Ruhig bleiben«, riet Schraubenschlüssel mechanisch.
    »Na ja«, sagte unsere weiche Schwanger. »Eine ›alte Dame‹ bin ich nicht gerade.«
    »Verpiß dich!« schrie Arbeiter sie an. »Los jetzt. Mach dich auf den Weg, aber schnell! Wir geben dir zehn Minuten. Dann machen sich Freud und Schraubenschlüssel auf den Weg.«
    Schwanger stand da, als könne sie sich nicht recht entscheiden, ob sie noch ein Schwangerschaftsbuch oder noch ein Abtreibungsbuch schreiben sollte.
    »Geh endlich, du Fotze!« brüllte Arbeiter sie an. »Vergiß nicht, die Kärntner Straße zu überqueren. Und sieh nach unserem Wagen, bevor du über die Straße gehst.«
    Schwanger ging, nachdem sie sich wieder gefaßt hatte - ja, sie bemühte sich, dem Anlaß mit ihrer besten mütterlichen Miene gerecht zu werden. Wir sollten sie nie wiedersehen. Ich nehme an, sie ging nach Deutschland; irgendwann wird sie vielleicht ein ganz neues Symbol-Buch hervorbringen. Irgendwo wird sie vielleicht

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