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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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von Schwanger, als könne er - zu meiner Schande - klarer denken als ich. Lilly erbrach sich immer weiter, und auch Franny versuchte nun, sie zu besänftigen, doch Ernst redete einfach weiter.
    »Wenn Arbeiter und Schraubenschlüssel hierher zurückkommen und unseren Erfolg bestätigen, dann werden wir wissen, daß wir dieser wunderbaren amerikanischen Familie kein Leid zufügen müssen«, sagte Ernst.
    »Die amerikanische Familie«, sagte Arbeiter, »ist eine Institution, für die man in Amerika mit der gleichen sentimentalen Übertreibung schwärmt wie für Sportler und Filmstars; Amerikaner stürzen sich mit dem gleichen übertriebenen Eifer auf die Familie, mit dem sie sich auf ungesundes Essen stürzen. Die sind einfach besessen von der Idee der Familie.«
    »Und nachdem wir die Oper gesprengt haben, nachdem wir eine Institution vernichtet haben, die man in Wien mit der gleichen widerlichen Übertreibung verehrt wie die Kaffeehäuser - und die Vergangenheit -, also ... nachdem wir die Oper gesprengt haben, sind wir im Besitz einer amerikanischen Familie. Wir werden eine amerikanische Familie als Geisel haben. Und eine tragische Familie dazu. Die Mutter und das jüngste Kind sind einem Unfall zum Opfer gefallen. Amerikaner lieben Unfälle. Katastrophen sind für sie eine saubere Sache. Und hier haben wir einen Vater, der sich verzweifelt bemüht, seine vier überlebenden Kinder großzuziehen, und wir werden sie alle in unserer Hand haben.«
    Vater kam bei diesem Teil nicht sehr gut mit, und Franny fragte Ernst: »Wie sehen eure Forderungen aus? Wenn wir Geiseln sind, welches sind dann die Forderungen?«
    »Keine Forderungen, Schätzchen«, sagte Schwanger.
    »Wir fordern nichts«, sagte Ernst, geduldig wie eh und je. »Zu dem Zeitpunkt haben wir dann schon, was wir wollen. Wenn wir die Oper in die Luft jagen und wenn wir euch als unsere Gefangenen haben, dann haben wir auch schon das, was wir wollen.«
    »Ein Publikum«, sagte Schwanger, fast flüsternd.
    »Ein ziemlich breites Publikum«, sagte Ernst. »Ein internationales Publikum. Nicht nur ein europäisches Publikum, nicht nur das Schlagobers-und-Blut-Publikum, sondern auch ein amerikanisches Publikum. Die ganze Welt wird dem zuhören, was wir zu sagen haben.«
    »Worüber?« fragte Freud. Auch er flüsterte jetzt.
    »Über alles«, sagte Ernst, logisch wie immer. »Wir haben dann ein Publikum für alles, was wir zu sagen haben - über alles.«
    »Über die neue Welt«, murmelte Frank.
    »Jawohl!« sagte Arbeiter.
    »Die meisten Terroristen scheitern«, erklärte Ernst, »weil sie die Geiseln nehmen und mit Gewalt drohen. Doch wir fangen mit der Gewalt an. Dann weiß schon mal jeder, daß wir dazu fähig sind. Und dann nehmen wir die Geiseln. So können wir sicher sein, daß uns alle zuhören.«
    Alles blickte auf Ernst, und dem gefiel das natürlich. Er war ein Pornograph, der bereit war, zu morden und ein Blutbad anzurichten - nicht im Dienst einer Sache, was schon idiotisch genug wäre, sondern für ein Publikum.
    »Du bist total verrückt«, sagte Franny zu Ernst.
    »Du enttäuschst mich«, sagte Ernst zu ihr.
    »Wie war das?« schrie Vater ihn an. »Was hast du zu ihr gesagt?«
    »Er sagt, daß ich ihn enttäusche, Pop«, sagte Franny.
    »Sie enttäuscht dich!« schrie Vater. »Meine Tochter enttäuscht dich!« brüllte Vater Ernst an.
    »Schön ruhig bleiben«, sagte Ernst ruhig zu Vater.
    »Du fickst meine Tochter und sagst dann, daß sie dich enttäuscht!« sagte Vater.
    Vater entriß Freud den Baseballschläger. Das ging blitzschnell. Er packte diese Louisville-Keule, als habe sie ein ganzes Leben in seinen Händen verbracht, und er schwang sie waagrecht durch die Luft, wobei er mit der Hüfte und den Schultern in den Schwung hineinging und voll durchzog - es war ein perfekter Schlag, der einen Ball genau die Linie entlang geschickt hätte, mit einer so niederen Flugkurve, daß er nach Passieren des Innenfeldes immer noch gestiegen wäre. Und Ernst der Pornograph, der sich zu spät duckte, bewegte seinen Kopf genau so, daß er wie ein perfekt und geradlinig geworfener Ball auf den von meinem Vater prächtig geschwungenen Schläger traf. Krach! Härter als jeder Bodenroller, mit dem Franny oder ich hätten fertigwerden können. Mein Vater erwischte Ernst den Pornographen mit der Louisville-Keule voll an der Stirn, direkt zwischen den Augen. Das erste, was auf dem Boden aufschlug, war Ernsts Hinterkopf, und erst dann plumpsten nacheinander seine Fersen

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