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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Schieferblau«, sagte Lilly, die Schriftstellerin. »Es war die Farbe des Meeres bei wolkenverhangenem Himmel.« Und als Frank sich von der Unversehrtheit der Oper überzeugt hatte und zurückkam, war, wie mir Franny erzählte, Arbeiter völlig reglos und leichenblaß - jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Er hatte die Farbe einer Perle«, sagte Lilly. Er war tot. Ich hatte ihn zerquetscht.
    »Du kannst ihn jetzt loslassen«, mußte Franny mir schließlich sagen. »Es ist gut, es wird alles gut«, flüsterte sie mir ins Ohr, weil sie wußte, wie sehr ich es mochte, wenn man flüsterte. Sie drückte mir Küsse aufs Gesicht, und dann gab ich Arbeiter frei.
    Ich fand danach nie mehr die alte Einstellung zum Gewichttraining. Ich betreibe es zwar immer noch, aber ich gehe heute sehr locker an die Gewichte; ich mag mich nicht mehr quälen. Ein bißchen Gewichtarbeit, gerade so viel, daß ich anfange, mich wohl zu fühlen; ich mag mich nicht übermäßig anstrengen, nicht mehr.
    Die zuständigen Leute sagten uns, Schraubenschlüssels »Sympathiebombe« hätte sogar funktionieren können, wenn der Wagen näher herangekommen wäre. Die Bombenspezialisten deuteten auch an, daß jede Explosion in der Umgebung die Sympathiebombe jederzeit hätte auslösen können; vermutlich war der alte Schraubenschlüssel doch nicht so präzis, wie er geglaubt hatte. Eine Menge Unsinn wurde über die Absichten der Radikalen geschrieben. Unglaublich viel Mist wurde über die »Aussage« geschrieben, die sie hatten machen wollen. Und es war nicht genug über Freud zu lesen. Seine Blindheit wurde beiläufig erwähnt, und auch, daß er in einem der Lager gewesen war. Aber da war absolut nichts über den Sommer 1939, über State o' Maine und das Arbuthnot-by-the-Sea, über das Träumen - oder über den anderen Freud und das, was er möglicherweise zu all dem zu sagen gehabt hätte. Stattdessen gab es viel idiotisches Geschwätz über die Politik dessen, was geschehen war.
    »Politik ist immer idiotisch!« wie Iowa-Bob gesagt hätte.
    Und es war nicht genug über Fehlgeburt zu lesen, darüber etwa, daß sie einem das Herz brechen konnte, wenn sie die letzten Sätze von Der große Gatsby vorlas. Sie erkannten natürlich an, daß mein Vater ein Held war. Sie gingen einigermaßen höflich mit dem Ruf um, den unser zweites Hotel New Hampshire genossen hatte - »in seiner Blüte«, wie Frank diese scheußlichen Tage umschrieb.
    Als Vater aus dem Krankenhaus kam, machten wir ihm ein Geschenk. Franny hatte deshalb an Junior Jones geschrieben. Junior Jones hatte uns sieben Jahre lang mit Basebällen versorgt, und so wußte Franny, sie konnte sich darauf verlassen, daß Junior für Vater einen neuen Baseballschläger finden würde. Eine Louisville-Keule, nur für ihn. Er würde sie allerdings auch brauchen. Und Vater schien unser Geschenk zu rühren - d. h. eigentlich war es Frannys Aufmerksamkeit, die ihn rührte, denn der Baseballschläger war Frannys Idee gewesen. Ich glaube, Vater muß ein wenig geweint haben, als er seine Hände ausstreckte und wir den Schläger hineinlegten und als er dann spürte, was er in Händen hielt. Wir konnten allerdings nicht sehen, ob er weinte, denn seine Augen waren noch bandagiert.
    Und Frank, der schon bisher für Vater hatte übersetzen müssen, mußte sich nun auch auf Vermittlerdienste einer anderen Art einstellen. Als uns die Leute von der Staatsoper ehren wollten, mußte sich Frank - in der Oper - neben Vater setzen und ihm zuflüstern, was auf der Bühne geschah. Der Musik konnte Vater ohne weiteres folgen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, was für eine Oper es war. Ich weiß nur, daß es nicht Lucia war. Es war eine ganz besonders possenhafte komische Oper, weil Lilly ausdrücklich betont hatte, wir wollten nichts von Schlagobers und Blut wissen. Es sei nett, daß die Wiener Staatsoper uns für die Rettung der Oper danken wolle, aber Schlagobers und Blut wollten wir nicht mehr über uns ergehen lassen. Die Oper hätten wir bereits gesehen. Sie sei nämlich sieben Jahre lang im Hotel New Hampshire gegeben worden.
    Zum Auftakt dieser lustigen Posse von einer Oper - wie immer sie geheißen haben mag - deuteten nun der Dirigent und das Orchester und alle Sänger auf meinen Vater in einer der vorderen Reihen (Vater hatte auf einem Sitz ganz vorne bestanden, »damit ich auch bestimmt etwas sehen kann«, hatte er gesagt). Und Vater stand auf und verbeugte sich; er konnte sich hinreißend verbeugen. Und er

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