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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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meine Mutter und mein Vater verliebt - und für ihre Begriffe verheiratet. Schließlich hatten sie Freud das Versprechen gegeben. Sie hatten seine 37er Indian und seinen Bären mit dem neuen Namen Earl, und als sie wieder daheim in Dairy, New Hampshire, waren, fuhren sie zuerst zum Haus der Familie Bates.
    »Mary ist wieder da!« rief die Mutter meiner Mutter.
    »Was ist denn das für eine Maschine, auf der sie sitzt?« sagte der alte Latein-Emeritus. »Und wen hat sie da bei sich?«
    »Es ist ein Motorrad, und das ist Win Berry!« rief die Mutter meiner Mutter.
    »Nein, nein!« sagte Latein-Emeritus. »Wer ist der andere?«
    Der alte Mann starrte auf die vermummte Gestalt im Beiwagen.
    »Das muß Coach Bob sein«, sagte die Mutter meiner Mutter.
    »Dieser Schwachkopf!« sagte Latein-Emeritus. »Was zum Teufel soll die Verkleidung bei diesem Wetter? Wissen die in Iowa denn nicht, wie man sich anzieht?«
    »Ich heirate Win Berry!« rief meine Mutter, während sie ihren Eltern entgegenlief. »Das ist sein Motorrad. Er wird nach Harvard gehen. Und das ... ist Earl.«
    Coach Bob zeigte mehr Verständnis. Er mochte Earl.
    »Ich wüßte zu gern, was der im Bankdrücken schafft«, sagte der Mann, der einst bei den ›Großen Zehn‹ Football gespielt hatte. »Aber können wir ihm nicht die Nägel schneiden?«
    Es schien albern, noch einmal Hochzeit zu feiern. Mein Vater war der Ansicht, die Trauung durch Freud genüge vollkommen. Doch die Familie meiner Mutter bestand auf einer Trauung durch jenen Kongregationalistenpfarrer, der Mutter zu ihrem Abschlußball begleitet hatte. Und so geschah es.
    Es war eine kleine, zwanglose Feier, bei der Coach Bob den Trauzeugen spielte, während Latein-Emeritus seine Tochter dem Bräutigam übergab und nur ab und zu etwas auf lateinisch murmelte; die Mutter meiner Mutter weinte, denn sie wußte ganz genau, Win Berry war nicht der Harvard-Mann, der Mary Bates nach Boston zurückverfrachten würde - zumindest nicht in absehbarer Zeit. Earl stand den ganzen Gottesdienst im Beiwagen der 37er Indian durch, wo er mit Zwieback und Hering bei Laune gehalten wurde.
    Anschließend machten meine Mutter und mein Vater eine kurze Hochzeitsreise, allein.
    »Aber dann müßt ihr es doch getan haben!« rief Franny immer. Doch das war nicht wahrscheinlich; sie blieben nirgendwo über Nacht. Sie fuhren mit einem frühen Zug nach Boston und bummelten durch Cambridge und stellten sich vor, wie sie eines Tages dort leben würden, während Vater Harvard besuchte; sie fuhren mit dem ersten Bummelzug zurück nach New Hampshire und kamen im Morgengrauen des nächsten Tages an. Ihr erstes Ehebett hätte nur das Mädchenbett meiner Mutter im Haus von Latein-Emeritus sein können - denn dort sollte meine Mutter weiterhin wohnen, während Vater sich bemühte, das Geld für Harvard zusammenzubringen.
    Coach Bob sah Earl nicht gerne weggehen. Bob war überzeugt, daß man dem Bären beibringen konnte, in der Abwehrreihe eines Football-Teams zu spielen, doch mein Vater machte Iowa-Bob klar, daß der Bär künftig den Lebensunterhalt seiner Familie und seine Studiengebühren verdienen sollte. Eines Abends also - die Nazis waren eben in Polen einmarschiert, und der nahende Herbst hing in der Luft - war es soweit: auf dem Sportgelände der Dairy School, das bis zu Iowa-Bobs Hintertür heranreichte, gab meine Mutter meinem Vater den Abschiedskuß.
    »Kümmere dich um deine Eltern«, sagte mein Vater zu Mutter,»ich komme dann wieder und kümmere mich um dich.«
    »Puh!« stöhnte Franny immer; irgendwie störte sie dieser Teil der Geschichte. Sie wollte einfach nicht daran glauben. Auch Lilly schüttelte sich und rümpfte die Nase.
    »Sei still und hör zu«, sagte Frank dann immer.
    Wenigstens ich bin nicht ganz so voreingenommen wie meine Schwestern und Brüder. Ich konnte mir jedenfalls vorstellen, wie Mutter und Vater sich geküßt haben müssen: vorsichtig - wahrend Coach Bob den Bären mit irgendeinem Spiel ablenkte, damit Earl nicht auf die Idee kam, Vater und Mutter äßen etwas, ohne mit ihm zu teilen. Küssen war und blieb riskant, wenn Earl in der Nähe war.
    Meine Mutter erzählte uns, sie habe gewußt, daß mein Vater ihr treu bleiben würde, denn der Bär hätte ihn beim Versuch, jemanden zu küssen, übel zugerichtet.
    »Und bist du ihr treu geblieben?« wollte Franny in ihrer schrecklichen Art von Vater wissen.
    »Aber ja doch, natürlich«, sagte Vater.
    »Wer's glaubt«, sagte Franny. Lilly sah immer

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