Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
wie
    Die Kerzen auf einer Torte,
    Als die Sonne am Himmel sank,
    Ein flüchtiges Aufblitzen nur,
    Doch die Zeit reichte aus für einen Wunsch,
    Bevor das Licht erlöschen konnte,
    Wenn mir nur ein Wunsch eingefallen wäre,
    Ganz so wie früher,
    Wenn ich mich über das saubere
    Tischtuch im Kerzenlicht beugte,
    Um sie auszublasen mit einem Hauch.
     
    Und als später Frank vierzig wurde, schickte ich ihm einen Geburtstagsgruß und legte ihm Donald Justices Gedicht ›Männer mit Vierzig‹ bei.
     
Männer mit Vierzig
    Lernen es, leise die Türen zu schließen,
    Zu Zimmern, in die sie
    Nicht mehr zurückkehren.
     
    Frank ließ sofort einen kurzen Brief an mich los, in dem er sagte, er habe das verdammte Gedicht nur bis zu dieser Stelle gelesen. »Schließ deine eigenen Türen!« fuhr mich Frank an. »Du bist auch bald vierzig. Was mich angeht, so knall ich die verdammten Türen zu und in die verfickten alten Zimmer kehre ich pausenlos zurück!«
    Bravo, Frank! dachte ich. Er ist immer ohne die geringste Furcht an den offenen Fenstern vorbeigegangen. All die großen Agenten tun das: sie schaffen es, den unglaublichsten und unlogischsten Rat vernünftig erscheinen zu lassen, sie schaffen es, daß du ohne Furcht zur Sache gehst, und auf diese Weise bekommst du es, bekommst du mehr oder weniger, was du willst, oder du bekommst jedenfalls irgendwas; wenigstens gehst du nicht leer aus, wenn du ohne Furcht zur Sache gehst, wenn du den Sprung ins Dunkel wagst, als befolgtest du den vernünftigsten Rat der Welt. Wer hätte geglaubt, daß aus Frank ein so liebenswerter Mensch werden würde? (Als kleiner Junge war er dermaßen fies.) Und ich werfe Frank nicht vor, daß er Lilly zu sehr antrieb. »Es war Lilly«, sagte Frank immer, »die Lilly zu sehr antrieb.«
    Als ihre Wachstumsversuche den verdammten Kritikern gefielen - als sie mit ihrem überheblichen Lob zu ihr herabstiegen und sagten, obwohl sie die Lilly Berry aus der berühmten Familie der opernretter sei, sei sie wirklich »nicht schlecht«, sei sie wirklich sehr »vielversprechend« - als sie immer weiter von der Unverbrauchtheit ihrer Stimme schwafelten, bedeutete das für Lilly nichts anderes, als daß es Zeit für sie wurde, etwas auf die Beine zu stellen; es war Zeit für sie, Ernst zu machen.
    Doch unsere kleine Lilly schrieb ihr erstes Buch fast durch Zufall; dieses Buch war nur ein beschönigender Ausdruck für ihre Wachstumsversuche, aber es bestand ihr gegenüber darauf, daß sie wirklich eine Schriftstellerin sei, auch wenn sie vielleicht nur eine sensible und hingebungsvolle Leserin war, die die Literatur liebte und glaubte, sie wolle schreiben. Ich glaube, es war das Schreiben, das Lilly umbrachte, denn Schreiben kann so etwas bewirken. Es hat sie einfach aufgezehrt; sie war nicht groß genug, den Raubbau, den das Schreiben mit sich bringt, das ständige Rumhobeln an sich selbst, zu ertragen. Nachdem die Filmfassung von Wachstumsversuche Franny berühmt machte und nachdem die Fernsehserie über das erste Hotel New Hampshire dafür sorgte, daß der Name Lilly Berry zu einem Begriff wurde, da wollte Lilly, glaube ich, »nur noch schreiben«, so wie man das immer wieder von Schriftstellern hört. Ich glaube, sie wollte nun einfach die Freiheit haben, ihr Buch zu schreiben. Unglücklicherweise war dieses zweite Buch nicht sehr gut. Es hieß Der Abend des Geistes, nach einer Zeile, die sie ihrem Guru, Donald Justice gestohlen hatte:

Nun kommt der Abend des Geistes.
    Hier sind die Glühwürmer, zuckend im Blut;

    und so weiter. Es wäre vielleicht klüger gewesen, sie hätte sich bei ihrem Titel (und mit ihrem Buch) auf eine andere Donald-Justice-Zeile bezogen:

Die Zeit ein Bogen, vom sicheren Scheitern gekrümmt.

    Sie hätte ihrem Buch den Titel Sicheres Scheitern geben können, denn genau das geschah: es scheiterte. Es war mehr, als sie verkraften konnte; es wuchs ihr über den Kopf. Es war ein Buch über den Tod der Träume, darüber, daß Träume sehr schwer sterben. Es war insofern ein tapferes Buch, als es von allem abwich, was mit Lillys kleiner Autobiographie zu tun hatte, aber es wich in ein Land aus, das zu fremdartig war, als daß sie es hätte begreifen können; sie schrieb ein vages Buch, in dem sich widerspiegelte, wie fremd ihr die Sprache war, die sie nur besuchte. Wenn man vage schreibt, ist man immer verletzbar, und sie war dann auch rasch verletzt, als die Kritiker - diese verdammten Rezensenten mit ihrer dumpfen, schwerfälligen

Weitere Kostenlose Bücher