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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er war alles andere als überzeugend. Und sie unterschlugen natürlich sämtliche Flüche. Irgendein Produzent wollte Franny tatsächlich weismachen, eine derbe Sprache zeuge von einem beschränkten Wortschatz und von einem Mangel an Phantasie. Und Frank und Lilly und Vater und ich ließen dann gerne einen Schrei los und fragten Franny, was sie darauf geantwortet habe.
    »Dir hat wohl einer ins Hirn geschissen!« hatte sie zu dem Produzenten gesagt. »Fick dich doch ins ohr, du erbärmliches Arschloch!«
    Doch trotz der Beschränkungen in der Sprache kam Franny in Wachstumsversuche gut rüber. Und das, obwohl sie Junior Jones so besetzten, daß er wie ein gehemmter Komiker wirkte, der bei einer Jazzband unterkommen will, und obwohl die Typen, die Mutter und Vater spielten, fade und blaß blieben; und dann der Typ, der mich verkörperte - Jessas Gott, nein. Trotz all dieser Handikaps behielt Franny ihre Ausstrahlung. Sie war in den Zwanzigern, als der Film gedreht wurde, aber sie war so hübsch, daß man ihr die Sechzehnjährige ohne weiteres abnahm.
    »Ich glaube, der Schwachkopf, der dich spielte«, sagte Franny zu mir, »sollte eine absolut leblose Mischung aus Liebenswürdigkeit und Dummheit verströmen.«
    »Also, ich weiß nicht, das verströmst du doch tatsächlich, hin und wieder«, foppte mich Frank.
    »Wie eine gewichthebende alte Jungfer«, sagte Lilly zu mir. »So haben sie deine Rolle gesehen.«
    Aber in den ersten paar Jahren, in denen ich mich im dritten Hotel New Hampshire um Vater kümmerte, sah ich mich selbst durchaus in dieser Rolle: als eine gewichthebende alte Jungfer. Nach einem in Wien absolvierten Studium der amerikanischen Literatur konnte ich mit dem Job eines Verwalters der Illusionen meines Vaters ganz zufrieden sein.
    »Du brauchst eine gute Frau«, sagte Franny zu mir am Telefon - aus New York, aus L.A. aus der Sicht eines kommenden Stars.
    Frank stritt sich mit ihr darüber, ob ich nicht vielleicht einen guten Mann brauchte. Aber ich war auf der Hut. Es machte mich glücklich, Vaters Phantasie aufzubauen. In der Tradition, die von der verlorenen Fehlgeburt begründet worden war, genoß ich es besonders, Vater abends vorzulesen; jemandem vorzulesen, ist eine der Freuden dieser Welt. Es sollte mir sogar gelingen, Vater fürs Gewichtheben zu interessieren. Auch wenn man nichts sieht, kann man Gewichte heben. Und nun haben wir jeden Morgen unseren Spaß im alten Ballsaal. Überall haben wir Matten ausgebreitet, und wir haben eine passende Bank fürs Bankdrücken. Wir haben Kugel- und Scheibenhanteln für jede Gelegenheit - und wir haben vom Ballsaal einen herrlichen Ausblick auf den Atlantischen Ozean. Wenn Vater den Ausblick auch nicht mit den Augen genießen kann, so ist er doch zufrieden, daß ihn die Meeresbrise umfächelt, wenn er am Boden liegt und seine Gewichte stemmt. Seit dem Tag, an dem ich Arbeiter zerquetschte, gehe ich, wie gesagt, nicht mehr ganz so konsequent an die Gewichte ran, und Vater versteht inzwischen so viel vom Gewichtheben, daß ihm das klargeworden ist; er tadelt mich deswegen ein bißchen, aber mir macht es einfach Spaß, ein leichtes Training mit ihm durchzuziehen. Die Arbeit mit den schweren Gewichten überlasse ich mittlerweile ihm.
    »Ich weiß, du bist auch heute noch in Form«, triezt er mich, »aber im Sommer vierundsechzig hattest du mehr drauf.«
    »Man kann nicht sein ganzes Leben zweiundzwanzig sein«, erinnere ich ihn, und dann widmen wir uns eine Weile den Gewichten. An diesen Vormittagen, wenn noch der Nebel über Maine hängt und die Feuchtigkeit des Meeres auf uns liegt, kann ich mir leicht vorstellen, daß die ganze Reise für mich nochmal von vorn anfängt - ich kann dann glauben, ich liege auf dem Teppich, wo der alte Kummer so gerne lag, und Iowa-Bob liegt neben mir und bringt mir etwas bei, statt daß da Vater liegt, dem ich etwas beibringe.
    Ich ging schon auf die Vierzig zu, als ich erstmals versuchte, mit einer Frau zusammenzuleben.
    Zu meinem dreißigsten Geburtstag schickte mir Lilly ein Gedicht von Donald Justice. Sie mochte den Schluß und dachte, er treffe auf mich zu. Ich war damals schlecht gelaunt und ließ sofort einen kurzen Brief an Lilly los, in dem ich sie fragte: »Wer ist dieser Donald Justice, und wieso trifft alles, was er sagt, auf uns zu?« Aber es ist ein hübscher Schluß für ein Gedicht, ganz gleich von wem, und ich fühlte mich mit dreißig tatsächlich so.
     
Dreißig heute, ich sah
    Die Bäume kurz aufflackern

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