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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ein Held, aber es mußte erst so weit kommen, daß er alle unsere Schecks zeichnete und uns sagte, wieviel wir für dieses oder jenes ausgeben konnten; erst dann erkannten wir den Helden, der Frank von Anfang an gewesen war.
    Nein, Lilly war unser Mäusekönig. »Wir hätten es wissen müssen!« klagte Franny immer und immer wieder. »Sie war einfach zu klein!«
    Nun ist also Lilly für uns verloren. Sie war der Kummer, den wir nie ganz verstanden; es gelang uns nie, ihre Masken zu durchschauen. Vielleicht wurde Lilly nie groß genug, daß wir sie hätten sehen können.
    Sie verfaßte ein Meisterwerk, das sie sich selbst nie hoch genug anrechnete. Sie schrieb das Drehbuch für den Film mit Chipper Dove in der Hauptrolle; sie war die Librettistin und Regisseurin dieser oper im Rahmen der grandiosen Tradition von Schlagobers und Blut. Sie wußte ganz genau, wie weit sie mit dieser Geschichte gehen konnte. Der Abend des Geistes war das Werk, das ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht wurde - und dann die Schwierigkeiten, die sie mit dem Neuanfang hatte, als sie versuchte, das Buch zu schreiben, das den ehrgeizigen Titel Alles nach der Kindheit bekommen sollte. Es ist nicht mal ein Zitat von Donald Justice; es war Lillys eigene Idee, aber sie konnte auch diesem Anspruch nicht gerecht werden.
    Wenn Franny zuviel trinkt, fängt sie an über die Macht zu motzen, die Donald Justice über Lilly hatte; Franny wird manchmal so betrunken, daß sie dem armen Donald Justice die Schuld an dem gibt, was mit Lilly passiert ist. Aber Frank und ich versichern Franny immer wieder, daß es Qualität war, was Lilly umbrachte; es war Der große Gatsby mit seinem Schluß: es war ein Schluß, der nicht von ihr war, ein Schluß außerhalb ihrer Reichweite. Und einmal sagte Lilly: »Dieser verdammte Donald Justice! Er hat all die guten Zeilen geschrieben!«
    Er hat möglicherweise die letzte Zeile geschrieben, die meine Schwester Lilly las. Frank fand bei Lilly Donald Justices Buch Nachtlicht, aufgeschlagen auf der mit vielen Eselsohren markierten Seite 20, und um die eine Zeile ganz oben auf der Seite war Kringel um Kringel gezogen worden - einmal sogar mit einem Lippenstift, dann mit mehreren verschiedenen Strichen von mehreren verschiedenen Kugelschreibern; selbst ein bescheidener Bleistiftstrich war darunter.

Der Schluß kann, glaube ich, nie richtig sein.

    Das könnte die Zeile gewesen sein, die Lilly dazu trieb.
    Es war eine Nacht im Februar. Franny war gerade an der Westküste; Franny hätte sie nicht retten können. Vater und ich waren in Maine; Lilly wußte, daß wir früh zu Bett gingen. Vater hatte mittlerweile seinen dritten Blindenhund. Sacher war tot, sie hatte sich überfressen. Die kleine hellfarbige Hündin, die immer so frech kläffte, bis sie von einem Auto überfahren wurde - sie hatte die Untugend, hinter Autos herzujagen; glücklicherweise nur, wenn sie Vater nicht an der Leine hatte -, die war auch tot; Vater nannte sie Schlagobers, weil ihr Temperament ihn an Schlagsahne erinnerte. Der dritte war ein Furzer, aber nur in diesem einen Punkt hatte er eine unangenehme Ähnlichkeit mit Kummer; es war wieder ein Deutscher Schäferhund, aber diesmal ein Rüde, und Vater bestand darauf, ihm den Namen Fred zu geben. So hieß auch das alte Faktotum im dritten Hotel New Hampshire - ein tauber ehemaliger Hummerfischer. Immer wenn Vater seinen Hund rief - ob das nun Sacher war oder Schlagobers -, antwortete Fred das Faktotum von irgendwoher im Hotel, wo er gerade beschäftigt war, mit einem »Was?« Das irritierte Vater so sehr (und erinnerte uns beide, ohne daß darüber gesprochen wurde, an Egg), daß Vater ständig drohte, er werde den nächsten Hund Fred nennen.
    »Da dieser alte Trottel sowieso immer antwortet, wenn ich den Hund rufe, ganz gleich, was ich für einen Namen rufe!« schimpfte Vater. »Jessas Gott, wenn er sowieso die ganze Zeit ›Was?‹ ruft, können wir's ja so einrichten, daß wenigstens der Name stimmt.«
    So kam also Blindenhund Nummer Drei zu dem Namen Fred. Seine einzige schlechte Angewohnheit war, daß er die Tochter der Putzfrau zu buckeln versuchte, sobald das kleine Mädchen von der Seite ihrer Mutter wich. Fred drückte in seiner einfältigen Art das kleine Mädchen an den Boden und begann zu buckeln, und das kleine Mädchen kreischte: »Nein, Fred!« Und die Putzfrau brüllte: »Hör schon auf, Fred!« und schlug Fred mit einem Mop oder einem Besen oder was immer zur Hand war. Und Vater hörte den

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