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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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lief; ich hätte nicht schneller sein können. Selbst wenn er bei Lillys Anruf zu Hause gewesen wäre, so würde doch - wie ich ihm immer wieder klarmachte - jeder für eine Entfernung von zwanzig Straßen und einem Zoo länger brauchen als für vierzehn Stockwerke im freien Fall - denn das war die Entfernung vom Fenster der Ecksuite im vierzehnten Stock des Stanhope bis zum Gehweg an der Ecke Eighty-first Street und Fifth Avenue. Lilly hatte einen kürzeren Weg zurückzulegen als Frank, und sie hätte ihr Ziel in jedem Fall vor ihm erreicht; es gab nichts, was er hätte tun können. Trotzdem war es Frank - nach seinen eigenen Worten - nicht in den Sinn gekommen, »Auf Wiedersehen, Lilly« zu sagen (oder auch nur zu denken), bis sie ihm ihren kleinen Leichnam gezeigt hatten.
    Sie hinterließ einen besseren Abschiedsbrief als damals Fehlgeburt. Lilly war nicht verrückt. Sie hinterließ einen ernsthaften Abschiedsbrief.

Tut mir leid,
    (stand auf dem Zettel)
einfach nicht groß genug.

    Am besten kann ich mich an ihre kleinen Hände erinnern: wie sie in ihrem Schoß umherhüpften, sobald sie etwas Nachdenkliches sagte - und Lilly war immer nachdenklich. »Zu wenig Lachen in ihr, Mann«, wie Junior Jones einmal sagte. Lillys Hände konnten sich nicht zügeln; sie tanzten zu dem, was sie gerade zu hören glaubte - vielleicht war es die gleiche Musik, zu der Freud seinen Baseballschläger tanzen ließ, das gleiche Lied, das heute Vater hört, wenn der Schläger neben seinen müden Beinen sich anmutig bewegt. Mein Vater, der blinde Spaziergänger: er geht überall hin, stundenlang durchstreift er das Gelände um das dritte Hotel New Hampshire, jeden Tag, sommers wie winters. Zuerst führte ihn Sacher, dann Schlagobers und dann Fred; als Fred es sich angewöhnte, Stinktiere zu töten, mußten wir uns von ihm trennen. »Ich mag Fred«, sagte Vater, »aber mit seinem Furzen und den Stinktieren wird er uns die Gäste vertreiben.«
    »Na ja, von den Gästen kommen keine Klagen«, sagte ich zu Vater.
    »Ach was, die sind nur höflich«, sagte Vater. »Das zeigt nur, daß es vornehme Leute sind, aber es ist ekelhaft, eine echte Zumutung, und wenn Fred je in meiner Gegenwart auf ein Stinktier losgeht ... also, weiß Gott, dann bring ich ihn um; dann bekommt er den Baseballschläger zu spüren.«
    Wir fanden also eine nette Familie, die einen Wachhund haben wollte; sie waren nicht blind, aber es störte sie nicht, daß Fred furzte und stank wie ein Stinktier.
    Und nun geht Vater mit Blindenhund Nummer Vier spazieren. Wir wurden es leid, Namen für sie zu finden, und mit Lillys Tod verlor Vater noch ein wenig mehr von seiner Verspieltheit. »Ich schaff das einfach nicht, noch einen Hund zu taufen«, sagte er. »Willst du das nicht übernehmen?« Aber ich hatte auch anderes im Kopf als Hundenamen. Franny drehte gerade einen Film in Frankreich, und Frank - den Lillys Weggehen am schwersten getroffen hatte - irritierte allein schon der Gedanke an Hunde. Frank hatte mit zuviel Kummer zu kämpfen; er war ganz und gar nicht in der Stimmung, Hunde zu taufen.
    »Jessas Gott«, sagte Frank. »Nennt ihn doch Nummer Vier.«
    Mein Vater zuckte mit den Achseln und begnügte sich mit einem einfachen »Vier«. Und wenn Vater nun in der Dämmerung nach seinem Gefährten sucht, dann höre ich ihn die Zahl Vier hinausbrüllen. »Vier!« bellt er dann. »Himmel Herrgott, Vier!« Und der alte Fred, das Faktotum, ruft immer noch: »Was?« Und Vater ruft weiter sein »Vier! Vier! Vier!«, wie einer, der sich an ein Spiel aus seiner Kinderzeit erinnert: das Spiel, bei dem einer den Ball hochwirft und die Nummer eines Mitspielers aufruft, und der Aufgerufene muß den Ball fangen, bevor der Ball den Boden berührt. »Vier!« höre ich Vater rufen, und im Geist sehe ich ein Kind vor mir, das mit ausgestreckten Armen auf den Ball zuläuft.
    Manchmal ist das Kind Lilly, manchmal ist es Egg.
    Und wenn Vater dann Vier endlich gefunden hat, sehe ich vom Fenster aus zu, wie Vier meinen Vater zum Pier hinunterführt; in dem dämmrigen Licht kann man Vater mit seinem Blindenhund leicht für einen jüngeren Mann unten an dem Pier halten - einen jüngeren Mann mit einem Bären, vielleicht; möglicherweise angeln sie Steinköhler. »Das Angeln macht keinen Spaß, wenn du nicht sehen kannst, wie der Fisch aus dem Wasser kommt«, hat Vater mir klargemacht. Deshalb sitzt Vater mit Vier einfach am Pier und heißt den Abend willkommen, bis ihn die wilden Schnaken Maines

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