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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Gelände des Thompson Female Seminary an einen Torpfosten gebunden worden war. Und es war ein anderes Halloween gewesen, als eine andere Kuh in die Dairy-Sporthalle gebracht und dort ins Schwimmbecken geführt wurde und auf das Chlor im Wasser so heftig reagierte, daß sie ertrank.
    Es war Halloween gewesen, als vier kleine Kinder aus dem Ort den Fehler gemacht hatten, mit ihrem »Belohnst du mich, verschon ich dich« ausgerechnet in einem der Dairy-Wohnheime Klinkenputzen zu gehen. Die Kinder wurden die ganze Nacht festgehalten; von einem als Henker verkleideten Schüler wurden ihnen die Köpfe glattrasiert, und eines der Kinder brachte anschließend eine Woche lang keinen Ton heraus.
    »Ich hasse Halloween«, sagte Franny, als uns auffiel, daß nur wenige Klinkenputzer unterwegs waren; die Kinder in Dairy hatten Angst vor Halloween. Die paar verschüchterten Kinder mit einer Tüte oder einer Maske über dem Kopf duckten sich, als Franny und ich vorbeiliefen; und eine Gruppe kleiner Kinder - eines als Hexe verkleidet, eines als Gespenst und zwei als Roboter aus einem neuen Film über eine Invasion von Marsbewohnern - suchte in einem hellbeleuchteten Türeingang Zuflucht, als wir auf dem Gehweg direkt auf sie zustürmten.
    Hier und da parkten am Straßenrand Autos mit besorgten Eltern, die nach potentiellen Angreifern Ausschau hielten, während ihre Kinder vorsichtig auf eine Haustür zugingen, um zu läuten. Es waren zweifellos die üblichen Ängste vor Rasierklingen in Äpfeln oder Arsen in Schokoladeplätzchen, die den parkenden Eltern durch den Kopf gingen. Einer dieser besorgten Väter richtete seine Scheinwerfer auf Franny und mich und stürzte aus seinem Wagen, um uns zu verfolgen. »He, ihr da!« brüllte er.
    »Howard Tuck hatte einen Herzschlag!« rief ich ihm zu, und das schien zu wirken - er erstarrte. Franny und ich liefen durch das offene Tor, das an ein Friedhofstor erinnerte, aber zu den Sportplätzen der Dairy School führte; als wir an den spitz zulaufenden Eisenstäben vorbeiliefen, versuchte ich mir das Tor am Exeter-Wochenende vorzustellen - wenn sie Fähnchen und wärmende Decken und lärmende Kuhglocken für das Spiel verkaufen würden. Im Augenblick war es ein ziemlich trostloses Tor, und während wir hineinrannten, stürmte eine kleine Horde Kinder an uns vorbei, hinaus - in die andere Richtung. Sie liefen um ihr Leben, wie es schien, und die angsterfüllten Gesichter der einen waren ebenso erschreckend wie die Halloween-Masken, die andere Kinder noch anhatten. Ihre schwarzweißen und kürbisfarbenen Kunststoffkostüme waren zerrissen und zerfetzt, und sie heulten wie ein Krankensaal in der Kinderklinik - ein heftiges, würgendes Schluchzen voller Angst.
    »Jessas Gott«, sagte Franny, und sie nahmen Reißaus - als trüge sie ein Kostüm und ich die schlimmste aller Masken.
    Ich schnappte mir einen kleinen Jungen und fragte ihn: »Was ist denn los?« Aber er wand sich in meinem Griff und brüllte und versuchte mich ins Handgelenk zu beißen - er war naß und zitterte am ganzen Leib, und er roch seltsam, und sein Skelett-Kostüm löste sich unter meinen Händen auf, wie durchweichtes Klopapier oder ein zerfallender Schwamm. »Riesenspinnen!« schrie er, völlig kopflos. Ich ließ ihn laufen.
    »Was ist denn los?« rief Franny den Kindern nach, aber so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren, waren sie nun verschwunden. Vor uns erstreckten sich die Spielfelder, dunkel und leer; am anderen Ende schienen die Wohnheime und Bauten der Dairy School - wie große Schiffe in einem nebelverhangenen Hafen - nur schwach beleuchtet, als seien alle früh zu Bett gegangen und nur ein paar gute Schüler machten, wie man so sagt, die Nacht zum Tage. Aber Franny und ich wußten, daß es sehr wenige »gute« Dairy-Schüler gab, und wir bezweifelten sogar im Fall der guten, daß sie in der Samstagnacht an Halloween über ihren Büchern saßen - und wir bezweifelten, daß irgendeines der dunklen Fenster bedeutete, daß irgend jemand schlief. Vielleicht tranken sie in der Schwärze ihrer Zimmer; vielleicht taten sie sich und einigen gefangenen Kindern Gewalt an in ihren dunklen Schlafsälen. Vielleicht gab es als letzten Schrei an der Schule eine neue Religion, die für ihre Rituale totale Finsternis vorschrieb - und Halloween war für sie der Tag der Abrechnung.
    Irgend etwas stimmte nicht. Die weißen Holzbalken des Tores an diesem Ende des Fußballplatzes schienen mir zu weiß, obwohl dies die dunkelste Nacht war,

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