Das Hotel New Hampshire
abgestorbene Bäume. Es stand immer noch einiges herum, was an den Umbau erinnerte, die Dieselmaschinen und die Baracke der Bauarbeiter, doch die Arbeiten am Hotel New Hampshire waren - bis auf die Gartenarbeiten - abgeschlossen, und die einzige Maschine, die in den vergangenen Tagen noch eingesetzt worden war, war der Löffelbagger, der wie ein hungriger Dinosaurier neben dem mit Platten ausgelegten Weg kauerte. Es waren immer noch einige Stümpfe von abgestorbenen Ulmen auszugraben, und am Rand des neu angelegten Parkplatzes waren noch einige Löcher zu füllen. Ein schwacher Lichtschimmer kam aus den Fenstern unserer Wohnung, wo Vater bei Kerzenschein Lilly zu Bett brachte und wo sich Frank bestimmt in seiner Musikeruniform im Spiegel betrachtete.
Franny und ich sahen den Streifenwagen in den Elliot Park einbiegen - ähnlich einem Hai, der in einsamen Gewässern Jagd auf imaginäre Beute macht. Wir stellten uns vor, daß der alte Polizist, Howard Tuck, Mutter und Egg auf dem Rückweg vom Bahnhof verhaften würde. Wir stellten uns vor, daß das Kerzenlicht im Hotel New Hampshire den guten Tuck überzeugen würde, daß die Geister ehemaliger Schülerinnen des Thompson Female Seminary im Hotel umgingen. Doch Howard parkte den Streifenwagen hinter dem augenfälligsten Haufen Bauschutt und schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus.
Wir sahen die Glut seiner Zigarre wie das schimmernde rote Auge eines wilden Tieres in dem dunklen Wagen aufleuchten.
Wir sahen Mutter und Egg, wie sie unentdeckt den Spielplatz überquerten. Sie kamen aus dem Dunkel und aus dem kärglichen Licht, als sei ihr irdisches Dasein ebenso kurz und ebenso spärlich beleuchtet; sie so zu sehen, gab mir einen Stich, und ich spürte, wie Franny neben mir schauderte.
»Laß uns überall die Lichter anmachen«, schlug Franny vor. »In allen Räumen.«
»Aber der Strom ist doch weg«, sagte ich.
»Im Augenblick schon, du Dummi«, sagte sie, »aber wenn wir alle Lichter andrehen, dann leuchtet das ganze Hotel auf, sobald sie den Strom einschalten.«
Das schien eine glänzende Idee, und so half ich ihr, überall - selbst auf dem Flur vor Max Uricks Zimmer - die Lichter anzumachen, auch die Scheinwerfer an der Außenwand, die eines Tages eine Terrasse vor dem Restaurant anstrahlen würden, im Moment allerdings nur den Löffelbagger und einen gelben Schutzhelm, der an seinem Kinnband an einem kleinen Baum hing, den der Bagger verschont hatte. Der Arbeiter, dem der Schutzhelm gehörte, schien auf immer verschwunden.
Der verlassene Helm erinnerte mich an Struthers, stark und langweilig; ich wußte, daß sich Franny in letzter Zeit nicht mehr mit ihm traf. Ich wußte auch, daß sie keine speziellen Freunde hatte, und das Thema schien sie zu verdrießen. Sie war, wie sie mir selbst erzählt hatte, noch Jungfrau, nicht weil sie das so wollte, sondern weil es an der Dairy School keinen Jungen gab, der es (wie sie sich ausdrückte) »wert« war.
»Das soll nicht heißen, daß ich mich so toll finde«, sagte sie zu mir, »aber ich will nicht, daß es mir irgendein Tölpel verdirbt, und ich will auch keinen, der mich auslachen könnte. Es ist sehr wichtig, John«, erzählte sie mir, »vor allem das erste Mal.«
»Warum?« fragte ich.
»Es ist nun mal so«, sagte Franny. »Es ist das erste Mal, deshalb. Das bleibt dir immer.«
Ich hatte meine Zweifel; ich hoffte, daß es nicht so war. Ich dachte an Ronda Ray: was hatte das erste Mal für sie bedeutet? Ich dachte an ihre Nachtwäsche, die -unbestimmbar - roch wie ihr Handgelenk unter dem Armband, wie ihre Kniekehle.
Howard Tuck und der Streifenwagen hatten sich nicht gerührt, während Franny und ich alle Lichtschalter angedreht hatten. Wir schlichen uns ins Freie, denn wir wollten das ganze Hotel aufflammen sehen, wenn der Strom eingeschaltet wurde. Wir kletterten in die Fahrerkabine des Löffelbaggers und warteten.
Howard Tuck saß so still in dem Streifenwagen, daß es aussah, als warte er auf seine Pensionierung. Nicht umsonst sagte Iowa-Bob öfter, Howard Tuck sehe immer aus, als stehe er »an der Schwelle des Todes«.
Als Howard Tuck den Zündschlüssel drehte, um den Motor des Streifenwagens anzulassen, erstrahlte plötzlich das Hotel, als habe er das bewirkt. Als am Streifenwagen die Scheinwerfer angingen, erwachten sämtliche Lichter im Hotel zum Leben, und Howard Tuck schien erst ruckartig anzufahren und dann den Motor abzuwürgen - als habe ihn der Anblick des strahlenden Hotels so
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