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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die ich je erlebt hatte. Irgend etwas an dem Tor war zu kahl und offensichtlich.
    »Ich wollte, wir hätten Kummer bei uns«, sagte Franny.
    Kummer wird unter uns sein, dachte ich - denn ich wußte etwas, was Franny nicht wußte: daß Vater an eben diesem Tag mit Kummer zum Tierarzt gegangen war, um den alten Hund einschläfern zu lassen. Über die Notwendigkeit dieses Schrittes war - in Frannys Abwesenheit - nüchtern gesprochen worden. Auch Lilly und Egg waren nicht dabei. Vater hatte es Mutter, Frank und mir - und Iowa-Bob - erklärt. »Franny wird es nicht verstehen«, hatte Vater gesagt. »Und Lilly und Egg sind zu jung. Es hat keinen Sinn, sie um ihre Meinung zu fragen. Sie wären nicht vernünftig.«
    Frank hatte für Kummer nichts übrig, aber selbst Frank schien das Todesurteil zu betrüben. »Ich weiß, er riecht übel«, sagte er, »aber das ist ja keine tödliche Krankheit.«
    »In einem Hotel schon«, sagte Vater. »Der Hund leidet an Flatulenz im Endstadium.«
    »Und er ist wirklich alt«, sagte Mutter.
    »Wenn ihr alt werdet«, sagte ich zu Mutter und Vater, »werden wir euch nicht einschläfern lassen.«
    »Und was ist mit mir?« sagte Iowa-Bob. »Ich bin ja wohl als nächster dran. Muß aufpassen mit meinem Furzen, sonst heißt's: ab ins Pflegeheim!«
    »Du bist wieder mal eine große Hilfe«, sagte Vater zu Coach Bob. »Franny ist die einzige, die den Hund wirklich liebt. Sie ist die einzige, die das wirklich treffen wird, und wir müssen es so leicht für sie machen, wie nur irgend möglich.«
    Vater war zweifellos der Meinung, die Vorausempfindung mache neun Zehntel des Leidens aus: es geschah eigentlich nicht aus Feigheit, daß er Franny nicht um ihre Meinung fragte; er wußte natürlich, wie ihre Meinung ausfallen würde, und er wußte, daß Kummer gehen mußte.
    Und so fragte ich mich nun, wie lange es nach unserem Einzug ins Hotel New Hampshire dauern würde, bis Franny den alten Furzer vermißte, bis sie anfing, überall nach Kummer zu schnuppern - und dann würde Vater seine Karten offen auf den Tisch legen müssen.
    »Tja, Franny«, hörte ich Vater anfangen. »Du weißt doch, Kummer wurde nicht jünger - und er konnte sich immer weniger beherrschen.«
    Als ich an dem Fußballtor vorbeiging - weiß wie der Tod unter dem schwarzen Himmel -, mußte ich schaudernd daran denken, wie Franny es aufnehmen würde. »Mörder!« würde sie uns alle nennen. Und uns würde allen die Schuld im Gesicht stehen. »Franny, Franny«, würde Vater sagen, aber Franny würde sich fürchterlich aufregen. Ich bedauerte die Fremden im Hotel New Hampshire, die von der Vielfalt an Tönen, deren Franny fähig war, aufgeweckt würden.
    Dann wurde mir plötzlich klar, was an dem Fußballtor nicht stimmte: das Netz war weg. Ende der Saison? dachte ich. Aber nein, wenn es noch eine Woche Football gab, dann gab es gewiß auch noch eine Woche Fußball. Und ich erinnerte mich, daß die Netze immer bis zum ersten Schnee an den Toren blieben, als falle dem Platzwart frühestens beim ersten Schneesturm ein, was er vergessen hatte. Die Tornetze hielten den vom Wind verwehten Schnee fest - wie Spinnennetze, die fein genug gewoben sind, um Staub einzufangen.
    »Das Netz ist weg - das Tornetz«, sagte ich zu Franny.
    »Na und«, sagte sie, und wir bogen ab in den Wald. Selbst im Dunkeln konnten Franny und ich die Abkürzung finden, den Weg, den die Footballspieler immer benutzten und den - eben deshalb - alle anderen mieden.
    Ein Halloween-Jux? dachte ich. Ein Tornetz klauen ... und natürlich liefen dann Franny und ich geradewegs hinein. Plötzlich war das Netz über uns und unter uns, und es waren noch zwei Leute darin gefangen: ein ganz junger Dairy-Schüler namens Firestone - sein Gesicht war rund wie ein Autoreifen und schwammig wie Weichkäse - und ein kleiner Klinkenputzer aus dem Ort. Der Klinkenputzer trug ein Gorillakostüm, obwohl seine Größe eher der eines Klammeraffen entsprach. Die Gorillamaske hatte er rücklings auf dem Kopf: wenn man seinen Hinterkopf vor sich hatte, sah man einen Affen, und wenn man in sein schreiendes Gesicht blickte, sah man den verängstigten kleinen Jungen, der er tatsächlich war.
    Es war eine Dschungelfalle, und der Affe zappelte entsprechend. Firestone versuchte stillzuliegen, aber das ruckende Netz ließ eine ruhige Lage nicht zu - er prallte gegen mich und sagte: »Entschuldigung«, und dann prallte er gegen Franny und sagte: »O Gott, bitte vielmals um Entschuldigung.« Immer wenn ich

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