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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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das Bad freigab, wollte Vater die Gelegenheit nutzen, mußte aber feststellen, daß Franny schneller gewesen war. Sie ließ sich noch ein Bad ein, und Mutter sagte zu Vater: »Du sagst kein Wort zu ihr. Sie kann so oft baden, wie sie will.« Und im Weggehen stritten sie sich weiter - was sehr selten vorkam. »Ich hab dir ja gleich gesagt, wir brauchen ein zweites Badezimmer«, sagte Mutter.
    Ich hörte zu, wie Franny das Badewasser einlaufen ließ. »Ich liebe dich«, flüsterte ich vor der verschlossenen Tür. Doch es ist unwahrscheinlich, daß Franny mich - beim Rauschen des heilenden Wassers - überhaupt gehört hat.

5.
Fröhliche Weihnachten, 1956
    Ich erinnere mich an den Rest des Jahres 1956, von Halloween bis Weihnachten, als an die Zeit, die Franny brauchte, um von ihrem dreimaligen Baden pro Tag wegzukommen - und zurückzufinden zu ihrer natürlichen Vorliebe für ihren eigenen guten, reifen Körpergeruch. Für mich roch Franny immer gut - auch wenn sie bisweilen einen sehr starken Geruch ausströmte -, aber zwischen Halloween und Weihnachten 1956 fand Franny ihren Geruch nicht gut. Und deshalb badete sie so oft, daß sie überhaupt nicht mehr roch.
    Im Hotel New Hampshire übernahmen wir mit der Familie ein weiteres Badezimmer und wurden immer fähigere Mitarbeiter in Vaters erstem Familienunternehmen. Mutter kümmerte sich um den absonderlichen Stolz von Mrs. Urick und die schlichten-aber-guten Erzeugnisse aus Mrs. Uricks Küche; Mrs. Urick kümmerte sich um Max, obwohl er sich im dritten Stock gut vor ihr versteckte. Vater befaßte sich mit Ronda Ray - »nicht buchstäblich«, wie Franny betonte.
    Ronda besaß eine merkwürdige Energie. Sie schaffte es, an einem einzigen Vormittag sämtliche Betten neu zu beziehen; sie konnte im Restaurant an vier Tischen bedienen, ohne die Bestellungen durcheinanderzubringen oder jemanden warten zu lassen; sie konnte Vaters Schicht an der Bar übernehmen (jeden Abend, außer Montag, war bis elf Uhr geöffnet) und rechtzeitig alle Tische zum Frühstück (sieben Uhr) gedeckt haben. Aber wenn sie sich zurückzog, in ihren »Tagesraum«, schien sie in eine Art Winterschlaf oder in eine tiefe Bewußtlosigkeit zu sinken, und selbst auf dem Gipfel ihrer Tatkraft - wenn sie sämtliche Arbeiten rechtzeitig erledigte - wirkte sie müde.
    »Warum reden wir eigentlich von einem Tagesraum?«. fragte Iowa-Bob. »Ich meine, wenn Ronda nach Hampton Beach zurückgeht - wann tut sie das eigentlich? Ich meine, es ist ja in Ordnung, daß sie hier wohnt, aber warum sagen wir dann nicht, daß sie hier wohnt - warum sagt sie es nicht?«
    »Sie leistet gute Arbeit«, sagte Vater.
    »Aber sie wohnt in ihrem Tagesraum«, sagte Mutter.
    »Was ist ein Tagesraum?« fragte Egg. Das hätten wohl alle gern gewußt.
    Franny und ich horchten mit der Sprechanlage stundenlang Ronda Rays Zimmer ab, aber es sollten noch Wochen vergehen, ehe wir mitbekamen, was ein Tagesraum war. Am späten Vormittag schalteten wir immer Rondas Zimmer ein, und Franny sagte, nachdem sie sich die Atemzüge eine Weile angehört hatte: »Schläft.« Oder auch: »Raucht eine Zigarette.«
    Spät abends hörten Franny und ich ihr wieder zu, und ich sagte: »Vielleicht liest sie.«
    »Mach keine Witze«, sagte dann Franny.
    Gelangweilt hörten wir die anderen Zimmer ab, eins nach dem anderen oder alle gleichzeitig. Wir überprüften Max Uricks Rauschen, durch das wir - gelegentlich - sein Radio hören konnten. Wir überprüften die brodelnden Suppentöpfe in Mrs. Uricks Küche im Untergeschoß. Wir wußten, daß 2 F Iowa-Bob war, und von Zeit zu Zeit schalteten wir uns in das Klirren seiner Hanteln ein - und unterbrachen ihn oft mit Kommentaren wie: »Auf, Opa, ein bißchen schneller! Hoch damit! Ruck, zuck muß das gehen - du läßt schon wieder nach.«
    »Ihr verdammten Gören!« grunzte dann Bob, oder er knallte zwei der Eisengewichte unmittelbar vor der Sender-Empfänger-Box gegeneinander, so daß wir aufsprangen und uns die schmerzenden Ohren hielten. »Ha!« rief Coach Bob. »Diesmal hab ich euch drangekriegt, ihr Nervensägen!«
    »Wahnsinniger in 2 F«, funkte Franny durch das ganze Hotel. »Alle Türen verriegeln. Wahnsinniger in 2 F.«
    »Ha!« grunzte Iowa-Bob - und stemmte schon wieder Gewichte aus der Rückenlage, machte seine Liegestützen, seine Sit-ups, seine einarmigen Hantelübungen. »Das ist ein Hotel für Wahnsinnige.«
    Es war Iowa-Bob, der mich zum Gewichtheben animierte. Was Franny zugestoßen war, hatte mich

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