Das Hotel New Hampshire
Kraftraum der Dairy-Sporthalle, wo wir immer warteten, bis Junior Jones seine Übungen beendete. Jones trug alle Scheiben zusammen und schob sie auf eine einzige Hantel, während wir mit unseren leeren Hantelstangen dastanden und warteten und warteten. Als Junior Jones für die Cleveland Browns spielte, wog er 130 Kilo und brachte im Bankdrücken 250 Kilo zur Hochstrecke. Damals an der Dairy School war er noch nicht ganz so stark, aber doch stark genug, um mir fürs Bankdrücken ein ordentliches Ziel zu setzen.
»Was wiegst du?« fragte er. »Weißt du das überhaupt?« Und als ich ihm sagte, wie schwer ich war, schüttelte er den Kopf und sagte: »Okay, nimm das Doppelte.« Und als ich das zusammengetragen und 140 Kilo oder so auf der Hantel hatte, sagte er: »Okay, runter auf die Matte, auf den Rücken.« Es gab für das Bankdrücken in der Dairy-Turnhalle keine geeigneten Bänke; also legte ich mich auf die Bodenmatte, und Junior Jones nahm die 140 Kilo schwere Hantel und legte sie mir vorsichtig quer über den Hals - da war gerade so viel Platz, daß mir die Hantelstange nur leicht auf den Adamsapfel drückte. Ich packte die Stange mit beiden Händen und spürte, wie meine Ellbogen in die Matte sanken. »Und jetzt drückst du sie hoch, über den Kopf«, sagte Junior Jones, und dann ging er aus dem Kraftraum, um einen Schluck Wasser zu trinken oder zu duschen, und ich lag unter der Hantel - gefangen. Nichts rührte sich, wenn ich versuchte, die 140 Kilo zu heben. Andere, kräftiger gebaute Leute kamen in den Kraftraum, und als sie mich unter den 140 Kilo liegen sahen, fragten sie mich respektvoll: »Eh, das geht bei dir wohl noch ne Weile?«
»Nein, nein, bin nur kurz am Verschnaufen«, sagte ich dann und blähte mich auf wie eine Kröte. Und sie gingen weg und kamen später wieder zurück.
Auch Junior Jones kam immer wieder zurück.
»Wie läuft's?« fragte er. Er nahm zehn Kilo weg, dann zwanzig, dann fünfzig.
»Versuch's jetzt«, sagte er jedesmal und ging fort und kam wieder, so lange, bis ich mich schließlich von der Hantel befreien konnte.
Und mit meinen 70 Kilo habe ich die 140 Kilo natürlich nie geschafft, aber immerhin ist es mir zweimal in meinem Leben gelungen, 100 Kilo im Bankdrücken zu bewältigen, und ich glaube, es ist für mich nicht unmöglich, das Doppelte meines Körpergewichts zu stemmen. Ich kann unter all dem Gewicht in eine wunderbare Trance geraten.
Manchmal, wenn ich mich so richtig reinknie, seh ich den Schwarzen Arm des Gesetzes, wie sie durch die Bäume streichen und ihre Melodie summen, und manchmal erinnere ich mich an den Geruch im fünften Stock des Wohnheimes, in dem Junior Jones wohnte - dieser heiße Dschungel-Nachtklub in den Wolken -, und wenn ich laufe, fängt etwa nach fünf oder sechs und manchmal auch erst nach neun Kilometern meine Lunge an, sich lebhaft zu erinnern, wie das damals war, als ich versuchte, mit Harold Swallow Schritt zu halten. Und der Anblick einer Strähne von Frannys Haar, über ihren offenen Mund hängend - aus dem kein Ton kam -, während Lenny Metz auf ihren Armen kniete und ihren Kopf zwischen seinen schweren Footballerschenkeln eingeklemmt hielt. Und Chester Pulaski, der auf ihr lag: eine mechanische Gliederpuppe. Manchmal kann ich seinen Rhythmus exakt kopieren, wenn ich bei meinen Liegestützen laut mitzähle (»fünfundsiebzig, sechsundsiebzig, siebenundsiebzig«:). Oder bei den Sit-ups (»hundert ein undzwanzig, hundert zwei undzwanzig, hundert drei undzwanzig«).
Iowa-Bob machte mich einfach mit den Geräten vertraut; Junior Jones steuerte seinen Rat bei und sein eigenes prächtiges Beispiel; Vater hatte mir schon beigebracht, wie man läuft - und Harold Swallow, wie man härter läuft. Die Technik und die Routine - und selbst Coach Bobs Diät - waren kein Problem. Das Schwierige, für die meisten Leute, ist die Disziplin. Wie Coach Bob sagte: man muß besessen werden und besessen bleiben. Aber für mich war auch das leicht - weil ich alles für Franny tat. Ich beklage mich nicht, aber es war alles für Franny - und sie wußte es.
»Hör zu, Kleiner«, sagte sie zu mir - 1956, zwischen Halloween und Weihnachten, »dir wird speiübel werden, wenn du nicht aufhörst, Bananen zu essen. Und wenn du nicht aufhörst, Orangen zu essen, bekommst du von all den Vitaminen eine Überdosis ab. Wofür zum Teufel quälst du dich so? Du wirst nie so schnell sein wie Harold Swallow, und nie so stark wie Junior Jones.
Kleiner, ich durchschau dich
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