Das Hotel New Hampshire
irgendwie dazu angespornt, mich selbst stärker zu machen. Schon um Thanksgiving lief ich täglich meine zehn Kilometer, obwohl die Cross-Strecke bei der Dairy School nur dreieinhalb Kilometer lang war. Bob setzte mich auf eine Diät mit gewaltigen Mengen an Bananen, Milch und Orangen. »Und Teigwaren, Reis, Fisch, jede Menge Grünzeug, Haferbrei und Eiskrem«, sagte mir der alte Coach. Zweimal am Tag arbeitete ich mit den Gewichten; und zusätzlich zu meinen zehn Kilometern lief ich jeden Morgen Sprintserien im Elliot Park.
Anfänglich nahm ich nur zu.
»Laß die Bananen weg«, sagte Vater.
»Und die Eiskrem«, sagte Mutter.
»Nein, nein«, sagte Iowa-Bob. »Muskeln wachsen nicht von heute auf morgen.«
»Muskeln?« sagte Vater. »Er ist fett.«
»Du siehst aus wie ein Barockengel«, sagte mir Mutter.
»Du siehst aus wie ein Teddybär«, sagte mir Franny.
»Iß weiter wie bisher«, sagte Iowa-Bob. »Bei all dem Gewichtheben und Laufen wirst du schon bald den Erfolg sehen.«
»Noch bevor er explodiert?« sagte Franny.
Ich ging mittlerweile auf fünfzehn zu und hatte zwischen Halloween und Weihnachten fast zehn Kilo zugenommen; ich wog 80 Kilo, war aber noch nicht mal einssiebzig groß.
»Mann«, sagte Junior Jones zu mir, »wenn wir dich schwarz und weiß anstreichen und dir Ringe um die Augen malen, kannst du als Panda gehen.«
»Du wirst sehen«, sagte Iowa-Bob, »bald hast du die zehn Kilo wieder runter und bist am ganzen Leib hart.«
Franny tat übertrieben erregt und trat mich unter dem Tisch ins Schienbein. »Am ganzen Leib hart!« rief sie.
»Das ist alles so unappetitlich«, sagte Frank. »Das Gewichtheben, die Bananen, das ewige Keuchen, treppauf und treppab.« Wenn es vormittags regnete, mochte ich die Sprintserien nicht im Elliot Park machen; ich rannte dann statt dessen die Treppen im Hotel New Hampshire rauf und runter.
Max Urick sagte, er werde demnächst Handgranaten ins Treppenhaus werfen. Und an einem völlig verregneten Morgen stellte mich Ronda Ray auf dem Treppenabsatz im ersten Stock; sie hatte eins ihrer Nachthemden an und sah besonders verschlafen aus. »Glaub mir, das klingt, wie wenn im Zimmer nebenan ein Liebespaar zu Sache geht«, sagte sie. Ihr Tagesraum lag gleich an der Treppe. Sie nannte mich gern John-O. »Das Getrampel ist mir egal, John-O«, erklärte sie mir. »Was mir zusetzt, ist das Schnaufen. Ich weiß nie, bist du am Sterben, oder geht dir gleich einer ab; aber ich spür dabei ein Kribbeln bis in die Haarspitzen, das kannst du mir glauben.«
»Hör ihnen einfach nicht zu«, sagte Iowa-Bob. »Du bist der erste in dieser Familie, der sich richtig um seinen Körper kümmert. Du mußt besessen werden und besessen bleiben«, sagte mir Bob. »Und wir müssen erst Gewicht draufpacken, bevor wir dich trimmen können.«
So war das, und so ist es: meinen Körper, diese Besessenheit, die mich nie mehr losgelassen hat, verdanke ich Iowa-Bob - und Bananen.
Es sollte noch eine Weile dauern, bis ich die überschüssigen zehn Kilo loswurde, aber dann hatte ich sie los - und dabei ist es bis heute geblieben. Ich wiege gleichbleibend meine siebzig Kilo.
Und erst mit siebzehn sollte ich noch einmal fünf Zentimeter wachsen, ehe dann endgültig Schluß war. Das bin ich heute: ein Meter fünfundsiebzig groß und siebzig Kilo schwer. Und am ganzen Leib hart.
Demnächst werde ich vierzig, aber selbst heute noch denke ich bei meinem Krafttraining an die Vorweihnachtszeit 1956. Heute hat man so raffinierte Kraftmaschinen; man braucht nicht mehr erst die Hantelscheiben auf die Eisenstange zu schieben und kann deshalb auch nicht mehr vergessen, die Schrauben anzuziehen, so daß die Scheiben zusammenrutschen und einem die Finger zerquetschen, und sie können auch nicht mehr ab- und einem auf die Zehen fallen. Aber der Kraftraum oder die Geräte mögen noch so modern sein, schon die ersten leichten Übungen versetzen mich zurück in Iowa-Bobs Zimmer - ins gute alte 2 F zu den Scheibenhanteln auf dem abgewetzten Perserteppich, auf dem Kummer immer geschlafen hatte: nach der Kraftarbeit auf diesem Teppich waren Bob und ich immer über und über mit den Haaren des toten Hundes bedeckt. Und habe ich dann mit den Gewichten eine Weile gearbeitet und dieser lang anhaltende köstliche Schmerz breitet sich langsam in meinem Körper aus, dann kann ich mir noch viel mehr ins Gedächtnis zurückrufen: all die Jammergestalten und all die Flecken auf dem Segeltuchüberzug der Roßhaarmatten im
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