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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hätte, daß Franny mich hören konnte. An Frank habe ich eigentlich nie gedacht, auch wenn ich ihn später immer wieder vor mir sah - unser ganzes Leben lang, ob wir nun zusammen waren oder nicht -: irgendwo an einer Sprechanlage sitzend und die Liebe belauschend. In meiner Vorstellung belauschte Frank die Liebe mit der gleichen mißvergnügten Miene, mit der er fast alle seine Aufgaben erledigte: einer unbestimmten, aber ausgeprägten Angewidertheit, die bis zum Ekel gehen konnte.
    »Du bist schnell, John-O, du bist sehr schnell«, sagte mir Ronda Ray.
    »Nur flüstern, bitte«, sagte ich mit gedämpfter Stimme in ihr unbändig farbenprächtiges Haar.
    Dieser Einführung verdanke ich meine Nervosität in Sexdingen - ein Gefühl, dem ich mich nie ganz entziehen konnte: daß ich mit allem, was ich sage und tue, vorsichtig sein muß, weil ich sonst Gefahr laufe, Franny zu verraten. Geht es auf Ronda Ray in diesem ersten Hotel New Hampshire zurück, daß ich mir immer vorstelle, Franny belausche mich?
    »Es hat sich ein bißchen zahm angehört«, sagte mir Franny später. »Aber das ist bestimmt okay so - beim ersten Mal.«
    »Danke, daß du keine taktischen Anweisungen gegeben hast, vom Spielfeldrand«, sagte ich zu ihr.
    »Hast du wirklich geglaubt, sowas würde ich tun?« fragte sie, und ich entschuldigte mich; aber ich wußte nie, was Franny tun oder nicht tun würde.
    »Wie kommst du voran mit dem Hund, Frank?« fragte ich immer wieder, als Weihnachten über uns hereinzubrechen begann.
    »Wie kommst du voran mit dem Flüstern?« fragte Frank. »Mir ist aufgefallen, daß es in letzter Zeit oft regnet.«
    Und wenn es nicht ganz so oft regnete - in dem Jahr, kurz vor Weihnachten -, dann nahm ich mir die Freiheit, das gebe ich zu, Schnee als Beinahe-Regen zu deuten; notfalls reichten mir auch Wolken am Vormittag, aus denen - irgendwann später - Regen oder Schnee zu werden drohte. Und es war bei einer dieser Gelegenheiten, unmittelbar vor Weihnachten - als ich Frank und Franny längst die in meinen Rennschuh gestopfte Geldrolle zurückgegeben hatte -, daß mich Ronda Ray fragte: »Weißt du eigentlich, John-O, daß es üblich ist, einer Kellnerin Trinkgeld zu geben?« Und ich war im Bilde; ich fragte mich, ob Franny mir an dem Morgen zuhörte - oder ob sie danach das Knistern von Geldscheinen mitbekam.
    Ich gab mein Weihnachtsgeld für Ronda Ray aus.
    Ich kaufte natürlich eine Kleinigkeit für Mutter und Vater. Weihnachtsgeschenke waren bei uns keine große Sache - es ging darum, irgend etwas Albernes zu verschenken. Ich glaube, ich kaufte Vater eine Schürze, die er hinter der Bar im Hotel New Hampshire tragen sollte; es war eine dieser Schürzen mit einem dämlichen Spruch drauf. Ich glaube, ich kaufte Mutter einen Porzellanbären. Frank kaufte Vater immer eine Krawatte und Mutter ein Halstuch, und Mutter gab die Halstücher an Franny weiter, die sie sich auf jede nur denkbare Weise umband, und Vater gab die Krawatten Frank zurück, der gerne Krawatten trug.
    1956 bekam Iowa-Bob ein besonderes Weihnachtsgeschenk von uns: eine gerahmte und vergrößerte Aufnahme von Junior Jones, wie er gerade Dairys einzigen Touchdown gegen Exeter erzielt. Das war nicht so albern, aber alles andere um so mehr. Franny kaufte Mutter ein sexy Kleid, das Mutter nie anziehen würde. Franny hoffte, Mutter würde es ihr geben, aber Mutter hätte es auch Franny nie tragen lassen.
    »Sie kann es ja für Vater tragen, wenn sie mal wieder Zwei E besuchen«, sagte mir Franny in mürrischer Stimmung.
    Vater kaufte Frank eine Busfahreruniform, weil Frank eine Vorliebe für Uniformen hatte; Frank trug sie, wenn er im Hotel New Hampshire den Türsteher spielte. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn wir mehr als einen Übernachtungsgast hatten, tat Frank gern so, als gebe es im Hotel New Hampshire einen ständigen Türsteher. Die Busfahreruniform hatte das gute alte Leichengrau der Dairy School; die Hosenbeine und die Ärmel waren zu kurz für Frank, und die Mütze war zu groß, so daß Frank bedenklich an den Angestellten eines schäbigen Bestattungsinstituts erinnerte, wenn er die Gäste empfing.
    »Willkommen im Hotel New Hampshire«, übte er als Begrüßung ein, aber es klang immer, als meine er das Gegenteil. Keiner von uns wußte, was er Lilly schenken sollte - jedenfalls keinen Zwerg oder Kobold oder sonst etwas Kleines.
    »Gebt ihr was zu essen!« schlug Iowa-Bob ein paar Tage vor Weihnachten vor. Meine Familie hielt auch nie was von

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