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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sorgfältig geplanten Weihnachtseinkäufen und diesem ganzen Quatsch. Wir ließen es immer auf die allerletzte Minute ankommen, auch wenn Coach Bob viel Theater um den Baum machte, den er eines Morgens im Elliot Park geschlagen hatte: er war so groß, daß er halbiert werden mußte, ehe er im Restaurant des Hotels New Hampshire aufgestellt werden konnte.
    »Du hast diesen schönen Baum im Park umgemacht!« sagte Mutter.
    »Der Park gehört doch uns, oder?« sagte Coach Bob. »Was willst du schon anderes machen mit Bäumen?« Er kam eben aus Iowa, wo man kilometerweit in die Ferne blicken kann - und manchmal ist weit und breit kein Baum zu sehen.
    Egg wurde als einziger mit Geschenken überhäuft, denn er war derjenige von uns, der in diesem Jahr das ideale Weihnachtsalter hatte. Und Egg war ganz versessen auf Dinge. Alle schenkten ihm Tiere und Bälle und Spielzeug für die Badewanne und Spielsachen für den Sommer - fast alles Ramsch, der noch im Laufe des Winters verloren- oder kaputtging, für Egg zu kindisch oder vom Schnee zugedeckt wurde.
    In einem Antiquitätenladen in Dairy fanden Franny und ich einen Glasbehälter mit Schimpansenzähnen, und wir kauften die Zähne für Frank.
    »Er kann sie bei einem seiner Ausstopfexperimente verwenden«, sagte Franny.
    Ich war heilfroh, daß wir Frank die Zähne nicht schon vor Weihnachten gaben, denn ich fürchtete, Frank könnte versuchen, sie bei seiner Version von Kummer zu verwerten.
    »Kummer!« schrie Iowa-Bob in einer Nacht kurz vor Weihnachten laut auf, und uns allen sträubten sich die Haare, als wir in unseren Betten hochfuhren. »Kummer!« rief der alte Mann in seinem Zimmer; seine Hanteln rollten lärmend über den Boden. Seine Tür ging auf, und wir hörten ihn auf den verlassenen Flur im zweiten Stock hinausbrüllen. »Kummer!« rief er.
    »Der alte Schwachkopf hat einen bösen Traum«, sagte Vater und polterte in seinem Bademantel die Treppe hinauf, doch ich ging zu Frank ins Zimmer und starrte ihn an.
    »Schau mich nicht so an«, sagte Frank. »Kummer ist immer noch drüben im Labor. Er ist noch nicht fertig.«
    Und wir gingen alle nach oben, um nachzusehen, was Iowa-Bob hatte.
    Er hatte Kummer »gesehen«, sagte er. Coach Bob hatte den alten Hund im Schlaf gerochen, und als er aufwachte, stand Kummer auf dem alten Perserteppich - seinem Lieblingsplätzchen - in Bobs Zimmer. »Aber er hat mich dermaßen drohend angesehen«, sagte der alte Bob. »Er sah aus, als wolle er mich angreifen!«
    Ich starrte Frank wieder an, aber Frank zuckte mit den Achseln. Vater verdrehte die Augen.
    »Du hast eben einen Alptraum gehabt«, sagte er zu seinem alten Vater.
    »Kummer stand in diesem Zimmer!« sagte Coach Bob. »Aber er hat nicht ausgesehen wie Kummer. Er hat ausgesehen, als wolle er mich umbringen.«
    »Ist ja gut«, sagte Mutter, und Vater schickte uns mit einer Handbewegung aus dem Zimmer; ich hörte, daß er mit Iowa-Bob so zu reden anfing, wie ich ihn sonst mit Egg oder mit Lilly hatte reden hören - und wie er mit uns allen geredet hatte, als wir jünger waren -, und mir ging auf, daß Vater mit Bob oft so redete - als glaube er, sein Vater sei ein Kind.
    »Es ist dieser alte Teppich«, sagte Mutter flüsternd zu uns Kindern. »Da sind so viele Hundehaare drauf, daß euer Großvater auch im Schlaf noch Kummer riechen kann.«
    Lilly sah erschreckt aus, aber Lilly sah oft erschreckt aus. Egg taumelte umher, als schlafe er im Stehen.
    »Kummer ist tot, nicht wahr?« fragte Egg.
    »Ja, ja«, sagte Franny.
    »Was?« sagte Egg, so laut, daß Lilly einen Satz machte.
    »Na schön, Frank«, flüsterte ich im Treppenhaus. »Welche Pose hast du jetzt Kummer gegeben?«
    »Die ›Angriff‹-Pose«, sagte er, und ich schauderte.
    Ich dachte, der alte Hund sei aus Wut über die fürchterliche Pose, zu der er verdammt worden war, zurückgekommen, um im Hotel New Hampshire zu spuken. Er war in Iowa-Bobs Zimmer gegangen, weil Bob Kummers Teppich hatte.
    »Legen wir doch Kummers alten Teppich in Franks Zimmer«, schlug ich beim Frühstück vor.
    »Ich will den alten Teppich nicht«, sagte Frank.
    »Und ich will den alten Teppich«, sagte Coach Bob. »Er ist ideal für meine Hanteln.«
    »Das war ja vielleicht ein schlimmer Traum letzte Nacht, was?« sagte Franny vorsichtig.
    »Das war kein Traum, Franny«, sagte Bob finster. »Das war Kummer - wie er leibt und lebt«, sagte der alte Coach, und bei seinen letzten Worten begann Lilly so heftig zu zittern, daß sie ihren

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