Das Hotel New Hampshire
wortloses Morgengebet.
»Deine Oberarme, deine Brust, dein Hals - das sieht alles ziemlich gut aus«, sagte mir Opa Bob, »aber deine Unterarme könnten ein bißchen mehr Training vertragen. Und vielleicht legst du dir so' n Zwanzigpfünder auf die Brust, wenn du deine Sit-ups machst - sie sind sonst zu leicht für dich. Und die Knie anziehen.«
»Mach ich«, schnaufte ich in meiner Ronda-Ray-Manier.
Bob nahm sich die Scheibenhantel vor; er brachte sie mühelos etwa zehnmal zur Hochstrecke und drückte sie dann noch ein paarmal von der Schulter nach oben - nach meiner Schätzung hatte er 70 oder 80 Kilo draufgepackt, als die Gewichte von dem einen Ende der Hantel rutschten, und ich sprang zur Seite; und dann rutschten vielleicht 25 oder 30 Kilo vom anderen Ende der Hantel, und Iowa-Bob schrie: »Scheiße! Verdammtes Scheißding!« Die Gewichte rollten durchs Zimmer. Von unten schimpfte Vater zu uns herauf.
»Jessas Gott, ihr verrückten Gewichtheber!« brüllte er. »Zieht doch mal diese Schrauben an!«
Und eine der Scheiben rollte gegen Bobs Schrank, und natürlich ging die Tür auf, und heraus kamen der Tennisschläger, Bobs Wäschesack, ein Staubsaugerschlauch, ein Squash-Ball - und Kummer, ausgestopft.
Ich versuchte etwas zu sagen, obwohl mich der Hund fast ebenso sehr erschreckte, wie er Iowa-Bob erschreckt haben mußte; ich wußte wenigstens, was es war: Kummer in Franks ›Angriff‹-Pose. Es war tatsächlich eine recht gut gelungene Angriffsstellung, und vom Ausstopfen schwarzer Labradors verstand Frank offenbar mehr, als ich ihm zugetraut hätte. Kummer war auf einem Kiefernbrett festgeschraubt - wie Coach Bob gesagt hätte »Alles ist festgeschraubt im Hotel New Hampshire; im Hotel New Hampshire sind wir lebenslänglich festgeschraubt!« Der grimmige Hund glitt beinahe elegant aus dem Schrank, landete sicher auf allen vier Füßen und schien drauf und dran loszuspringen. So wie sein schwarzes Fell glänzte, war es wohl kurz zuvor noch geölt worden; seine gelben Augen fingen das helle Morgenlicht ein, und im Licht blitzten auch seine alten gelben Zähne, die Frank zur Feier des Tages weiß poliert hatte. Die Lefzen des alten Hundes waren weiter nach hinten gezogen, als ich das je zu Lebzeiten des alten Kummer gesehen hatte, und eine speichelähnliche Flüssigkeit - sehr überzeugend - glitzerte auf dem Zahnfleisch des alten Hundes. Seine schwarze Schnauze sah feucht und gesund aus, und ich konnte fast riechen, wie Iowa-Bob und mir sein übler Mundgeruch entgegenschlug. Doch dieser Kummer sah viel zu gefährlich aus für einen Furzer.
Diesem Kummer war es bitter ernst, und bevor ich die Sprache wiederfand und meinem Großvater sagen konnte, daß es nur ein Weihnachtsgeschenk für Franny war - daß es nur eines von den schrecklichen Projekten war, mit denen sich Frank drüben im Biologie-Labor abgab -, schleuderte der alte Coach seine Hantel gegen den wilden Angreifer und warf seinen prächtigen Footballerkörper zurück auf mich (um mich zu beschützen, ohne Frage; das muß seine Absicht gewesen sein).
»Heiliger Strohsack!« sagte Iowa-Bob mit einer merkwürdig kleinen Stimme, und die Eisengewichte landeten links und rechts von Kummer krachend auf dem Boden. Der knurrende Hund ließ sich nicht irritieren; er war nach wie vor bereit zum todbringenden Sprung. Und IowaBob, der seine letzte Saison hinter sich hatte, sank tot in meine Arme.
»Jessas Gott, schmeißt ihr eure Gewichte jetzt absichtlich durch die Gegend?« brüllte Vater zu uns herauf. »Jessas Gott!« schrie Vater. »Setzt mal einen Tag aus, ja? Es ist immerhin Weihnachten, Herr Gott noch mal. Fröhliche Weihnachten! Fröhliche Weihnachten!«
»Fröhliche verfickte Weihnachten!« rief Franny, von unten.
»Fröhliche Weihnachten!« sagten Lilly, und Egg - und sogar Frank.
»Fröhliche Weihnachten!« rief Mutter mit sanfter Stimme.
Und hörte ich nicht auch Ronda Ray einstimmen? Und die Uricks - die bereits das Weihnachtsfrühstück im Hotel New Hampshire auftischten? Und ich hörte etwas Unaussprechliches - es könnte der Türke in 1 B gewesen sein.
In meinen Armen, die - wie ich jetzt merkte - sehr stark geworden waren, hielt ich den ehemaligen Star aus der Liga der ›Großen Zehn‹, der für mich ebensoviel Gewicht und Bedeutung hatte wie unser Familienbär, und ich starrte in den kleinen Zwischenraum, der uns von Kummer trennte.
6.
Vater hört von Freud
Coach Bobs Weihnachtsgeschenk - die gerahmte, vergrößerte Aufnahme von
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