Das Hotel New Hampshire
Mund zu Mund.«
»Ich weiß nicht mal, wie man jemand küßt«, sagte ich zu Sabrina Jones, und diese - aus ihrer Sicht - zusammenhanglose Feststellung schien sie zu verwirren.
Franny, der die Art, wie Ronda Ray die langsame Nummer mit Junior tanzte, nicht besonders paßte, klatschte Junior ab, und ich hielt den Atem an - ich hoffte, Ronda hatte es nicht auf mich abgesehen.
»Nicht so verkrampft«, sagte Sabrina Jones. »Du kommst mir vor wie ein Hochspannungskabel.«
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Entschuldige dich nie beim anderen Geschlecht«, sagte sie. »Jedenfalls nicht, wenn du wo hinkommen willst.«
»Wohin kommen?« sagte ich.
»Über das Küssen hinaus«, sagte Sabrina.
»Ich komm nicht mal bis zum Küssen«, erklärte ich ihr.
»Das ist leicht«, sagte Sabrina. »Um bis zum Küssen zu kommen, brauchst du nur so zu tun, als wüßtest du, wie's geht: dann läßt dich auch jemand den Anfang machen.«
»Aber ich weiß nicht, wie's geht«, sagte ich.
»Das ist leicht«, sagte Sabrina. »Du mußt nur üben.«
»Niemand, mit dem ich üben könnte«, sagte ich, aber ich dachte - wenn auch nur flüchtig - an Franny.
»Probier's doch mal mit Bitty Tuck«, flüsterte Sabrina und lachte.
»Aber ich muß doch aussehen, als wüßte ich, wie's geht«, sagte ich. »Und das weiß ich nicht.«
»So weit waren wir schon mal«, sagte Sabrina. »Jedenfalls bin ich zu alt, als daß du mit mir üben könntest. Es wäre für uns beide nicht gut.«
Ronda Ray, die sich suchend über die Tanzfläche bewegte, entdeckte Frank hinter den leeren Tischen, aber Frank flüchtete, bevor sie ihn zum Tanzen auffordern konnte. Egg war verschwunden, und Frank hatte wahrscheinlich nur auf einen Vorwand gewartet, um Egg irgendwo allein stellen zu können. Lilly tanzte stoisch mit einem von Vaters und Mutters Freunden, Mr. Matson, einem unglücklicherweise recht großen Mann - aber auch als kleiner Mann wäre er für Lilly nicht klein genug gewesen. Es sah aus wie die unbeholfene, um nicht zu sagen, unanständige Nummer zweier Tiere.
Vater tanzte mit Mrs. Matson, und Mutter unterhielt sich an der Bar mit einem von Coach Bobs alten Trinkgenossen, der fast jeden Abend ins Hotel New Hampshire kam; er hieß Merton und war der Vorarbeiter auf dem Holzplatz. Merton, der beim Gehen hinkte, war ein breiter, schwerer Mann mit mächtigen, geschwollenen Händen; er hörte meiner Mutter nur halbherzig zu, sein Gesicht verriet, daß er Iowa-Bob vermißte; seine Augen weideten sich an Doris Wales und schienen sagen zu wollen, daß die Band so kurz nach Bobs endgültiger Pensionierung fehl am Platz sei.
»Abwechslung«, sagte mir Sabrina Jones ins Ohr. »Das ist das Geheimnis beim Küssen«, sagte sie.
»›Ich liebe dich aus hunderttausend Gründen!‹« sang Doris Wales mit schmachtender Stimme.
Egg war wieder da; er trug das Große-Huhn-Kostüm; dann war er wieder weg; Bitty Tuck sah gelangweilt aus; sie schien unsicher, ob sie Junior, der mit Franny tanzte, abklatschen sollte. Und sie war, wie Franny immer sagte, so weltgewandt, daß sie nicht wußte, was sie mit Ronda Ray reden sollte, die sich an der Bar einen Drink gemacht hatte. Ich sah Max Urick in der Küchentür stehen und hereinglotzen.
»Kleine Bisse, und ein klein bißchen Zunge«, sagte Sabrina Jones, »aber es kommt vor allem darauf an, daß du den Mund herumbewegst.«
»Möchtest du was trinken?« fragte ich sie. »Ich meine, du bist schließlich alt genug. Vater hat einen Kasten Bier in den Schnee gestellt, neben den Lieferanteneingang, für uns Kinder. Er hat gesagt, er könne uns nicht an der Bar trinken lassen, aber bei dir ist das etwas anderes.«
»Zeig mir den Lieferanteneingang«, sagte Sabrina Jones. »Ich trink ein Bier mit dir. Aber nicht frech werden.«
Wir gingen von der Tanzfläche, zum Glück gerade noch rechtzeitig vor Doris Wales' schmetterndem Übergang zu ›I Don't Care If the Sun Don't Shine‹ - dessen Tempo Bitty Tuck veranlaßte, zu Franny zu gehen und ihr Junior für einen Tanz zu entführen. Ronda blickte finster hinter mir her.
Sabrina und ich schreckten Frank auf, der beim Lieferanteneingang gegen die Mülltonnen pinkelte. Mit einer Geste von Frankscher Unbeholfenheit tat er so, als wolle er uns das Bier zeigen. »Hast du einen Öffner, Frank?« fragte ich, aber er war bereits im Nebel des Elliot Parks verschwunden - in dem ewig-trübseligen Nebel, der unser Winterwetter beherrschte.
Sabrina und ich machten unsere Bierflaschen in der
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