Das Hotel New Hampshire
ist es schön. Die Hände zurück in die Taschen - das meine ich ernst. Gefällt es dir so?«
»O ja«, sagte ich.
»Wirklich?« fragte sie. »Ist es wirklich besser?«
»Es ist tiefer!« sagte ich.
Sie lachte. »Aber auch besser?« fragte sie.
»Wunderbar«, bekannte ich.
»Die Hände zurück in die Taschen«, sagte Sabrina. »Nicht schludern. Nicht so unkontrolliert. Autsch!«
»Entschuldigung.«
»Entschuldige dich nicht. Du darfst nur nicht so fest zubeißen. Hände in die Taschen. Das meine ich ernst. Werd nicht frech. In die Taschen!«
Und so fort, bis ich für eingeweiht befunden wurde: reif für Bitty Tuck und den Rest der Welt wurde ich losgeschickt aus dem Zimmer von Sabrina Jones; immer noch die Hände in den Taschen, stieß ich gegen die Tür von 1 B. »Vielen Dank!« rief ich Sabrina zu. Obwohl das Licht im Flur brannte, hatte sie auch ohne ihr Gebiß den Mut, mir zuzulächeln - und dieses rosig-braune, rosig-blaue Lächeln war so viel schöner als die seltsame Perlenreihe ihrer falschen Zähne.
Sie hatte an meinen Lippen gelutscht, um sie anschwellen zu lassen, wie sie sagte, und so ging ich nun mit aufgeworfenen Lippen ins Restaurant des Hotels New Hampshire, der Macht meines Mundes bewußt und bereit, mit Bitty Tuck die Geschichte des Küssens neu zu schreiben. Doch Hurricane Doris quälte sich stöhnend durch ›I Forgot to Remember to Forget‹; Ronda Ray hing benommen an der Bar, und Mutters neues Kleid war hochgerutscht bis zu dem Muskelknoten an Rondas Hüfte, von wo mich ein blauer Fleck in der Form eines Daumenabdrucks anstarrte. Merton, der Vorarbeiter vom Holzplatz, tauschte mit meinem Vater Geschichten aus - ich wußte, daß sich diese Geschichten um Iowa-Bob drehten.
»›Ich vergaß, mich zu erinnern zu vergessen!‹« stöhnte Doris Wales.
Die arme Lilly, die immer zu klein sein würde, um sich auf einer Party richtig wohlzufühlen - obwohl sie sich vorher immer mächtig darauf freute -, war zu Bett gegangen. Egg, der jetzt gewöhnliche Kleider trug, saß trotzig auf einem der festgeschraubten Stühle; sein kleines Gesicht war grau, als habe er etwas gegessen, was ihm nicht bekommen war, als zwinge er sich dazu, bis Mitternacht aufzubleiben - als habe er Kummer verloren.
Frank, so stellte ich mir vor, war draußen und trank das kalte Bier, das im Schnee neben dem Lieferanteneingang stand, oder er schlürfte Pepsi-Colas am Empfang in der Eingangshalle, oder er saß vielleicht vor dem Schaltkasten - und belauschte Sabrina Jones, die ein Buch las und mit ihrem prächtigen Mund vor sich hinsummte.
Mutter und die Matsons hatten ohne jede Zurückhaltung Doris Wales im Visier. Nur Franny kam als Tanzpartnerin in Frage - Bitty Tuck tanzte mit Junior Jones.
»Tanz mit mir«, sagte ich zu Franny und griff nach ihr.
»Du kannst nicht tanzen«, sagte Franny, aber sie ließ sich von mir zur Tanzfläche schleppen.
»Aber küssen kann ich«, flüsterte ich Franny zu und versuchte es, doch sie stieß mich weg.
»Wechsel!« rief sie Junior und Bitty Tuck zu, und schon hatte ich Bitty in den Armen, und schon langweilte sie sich.
»Du mußt nur darauf achten, daß du mit ihr tanzt, wenn es Mitternacht wird«, hatte Sabrina Jones mir geraten. »Um Mitternacht darf jeder seinen Tanzpartner küssen. Und wenn du sie erst mal küßt, hast du sie an der Angel. Sieh zu, daß dir der erste nicht danebengeht.«
»Hast du getrunken, John-John?« fragte mich Bitty. »Du hast ja ganz dicke Lippen.«
Und Doris Wales, heiser und schwitzend, sang »Ich versuche, an dich ranzukommen« - ›Tryin' to Get to You‹, eine dieser ungeschickten - weder schnellen noch langsamen - Nummern, so daß sich Bitty Tuck entscheiden mußte, ob sie eng tanzen wollte oder nicht. Bevor sie sich entschließen konnte, sprang Max Urick mit seiner Matrosenmütze aus der Küche, eine Schiedsrichterpfeife zwischen den Zähnen; und der Pfiff war so schrill, daß selbst Ronda Ray an der Bar eine kleine Bewegung machte. »Glückliches Neues Jahr!« schrie Max, und Franny stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Junior Jones einen richtig süßen Kuß, und Mutter hielt nach Vater Ausschau. Merton, der Vorarbeiter vom Holzplatz, warf einen kurzen Blick auf die dösende Ronda Ray; dann besann er sich eines Besseren. Und Bitty Tuck, gelangweilt die Achsel zuckend, zeigte mir wieder ihr überlegenes Lächeln, und ich erinnerte mich an all die üppigen Freuden in Sabrina Jones' Höhlenmund; ich ging ran und schritt, wie es so schön
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