Das Hotel
die Luft an und horchte. Vielleicht …
Dann hörte sie ein Husten.
JD begann zu bellen. Er warf sich gegen die Schranktür und attackierte den Knauf. Kelly sprang auf und lief zum Bad. Der Holzboden unter ihren nackten Füßen kam ihr kühl vor, und sie fühlte sich in ihrem übergroßen Schlaf-Shirt, das ihr bis über die Knie reichte, beinahe nackt.
Der Schäferhund attackierte weiterhin den Knauf der Schranktür, und obwohl JD noch nie eine Tür geöffnet hatte, glaubte Kelly, dass es ihm dieses Mal vielleicht gelingen würde.
» JD , komm her.«
Der Hund blickte sie an.
» Komm her! Sofort!«
Widerwillig tappte er mit hängender Zunge zu ihr, wedelte aber schon bald mit dem Schwanz. Kelly tätschelte ihm den Kopf. Es überraschte sie, wie sehr sie diese Geste beruhigte. Dann kniete sie sich zu ihm hinab und umarmte ihn, aber weder sie noch der Hund ließen die Schranktür aus den Augen.
Die Sekunden vergingen. Kelly glaubte schon, sich das Geräusch eingebildet zu haben.
Was hätte es sonst sein können?
In alten Häusern knarzte immer etwas, ob Wasserleitungen, ein Heizkessel oder Ähnliches. Zu Hause, wenn Mom die Toilette spülte, konnte Kelly das sogar im Keller hören.
Vielleicht war es gar kein Husten gewesen, sondern jemand hatte im oberen Stockwerk die Dusche aufgedreht.
Oder jemand hat wirklich gehustet, aber im benachbarten Zimmer und nicht im Schrank.
JD presste seine kühle Nase gegen Kellys Nacken, sodass sie zusammenzuckte. Sie stand auf.
Ich sollte die Schranktür aufmachen, um mich zu vergewissern.
Kelly hielt sich nicht für sonderlich mutig, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie eine Heulsuse war. Kelly mochte SlipKnot tausendmal lieber als Hannah Montana und bevorzugte Saw- Filme vor High School Musical. Im Gegensatz zu anderen Mädchen aus ihrer Klasse konnte sie Schlangen und Frösche in die Hand nehmen, ohne gleich auszurasten. Und wenn sie bei Freunden übernachtete, war sie die Einzige, die es zwei Minuten lang im stockfinsteren Badezimmer mit dem Hexenbrett aushielt, von dem Su Ellen Wilcox’ Bruder behauptete, es sei vom Teufel besessen. Kellys einzige irrationale Angst war die vor Höhen.
Ist es irrational, sich vor Schränken zu fürchten? Oder gesunder Menschenverstand?
» Das ist irrational«, sagte Kelly. Ihre Mutter liebte das Wort irrational . Und wenn sie jetzt neben Kelly stünde, würde sie einfach zur Schranktür gehen und Kelly zeigen, wie irrational ihre Furcht war.
Kelly schöpfte Kraft bei dem Gedanken an ihre Mutter und ging zur Tür.
Der Boden unter ihren Füßen knarzte. Obwohl sie nur wenige Meter von dem Einbauschrank entfernt gestanden hatte, schien es unglaublich lange zu dauern, bis sie sich davor befand.
Mit jedem Schritt wurde sie unsicherer, und als sie endlich die Hand nach dem Knauf ausstreckte, fühlte sich ihr Hals an, als ob eine Walnuss darin steckte, die sie nicht herunterschlucken konnte.
Öffne die Tür.
Sie griff nach dem Knauf, zögerte aber immer noch.
Und was ist, wenn ich sie aufmache, und der Jäger-Typ steht mir gegenüber?
Kelly warf JD einen Blick zu. Er stand neben der Tür zum Bad und rührte keinen Muskel.
Vielleicht sollte ich erst mal horchen.
Kelly legte ihr Ohr vorsichtig an das kühle, raue Holz der Tür. Erneut hielt sie den Atem an, um besser hören zu können.
Einige Sekunden verstrichen.
Kelly hörte nichts.
Auf einmal ertönte Moms Stimme in ihrem Kopf, wie sie es tat, wenn Kelly auf dem Sprungturm des Schulbeckens stand. » Du stellst dich irrational an, Kelly. Was ist das Schlimmste, das passieren kann?«
Meinen Schädel brechen und ertrinken?
Oder in diesem Fall von einem verrückten Hinterwäldler mit einem Geburtsfehler angegriffen werden?
Vielleicht sollte sie einfach einen Stuhl vor die Tür schieben, anstatt sie zu öffnen. Kelly holte den Stuhl, der vor dem kleinen Schreibtisch in der Ecke stand. Sie konnte ihn unter den Knauf klemmen, sodass nichts und niemand unbemerkt aus dem Schrank steigen würde.
Ich kann doch nicht die ganze Nacht über wach bleiben und darauf warten, dass ein Monster-Mann ausbricht und mich angreift .
Kelly drehte am Knauf …
… öffnete die Tür …
… und sah …
» Nichts«, sagte Kelly laut und atmete erleichtert aus. Sie drehte sich um und warf JD einen strafenden Blick zu. » JD , du bist ein dämlich…«
Plötzlich knarzte es aus dem Einbauschrank. Das Geräusch war so nah, dass Kelly direkt danebenzustehen glaubte. Sie erschrak, machte
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