Das Hungerjahr - Roman
Schein hin. Der Blick des Mannes wanderte über den ungedeckten Tisch darauf zu. Als der Blick den Schein erreicht hatte, stand der Mann auf und nahm ein Holzkästchen vom Ofen, stellte es auf den Tisch und nahm drei gleichwertige Scheine heraus. Dann setzte er sich wieder hin und starrte auf sein Geld.
»Iss du deines, dann esse ich meines«, knurrte er schließlich.
Teo wollte gerade aufstehen und gehen, als aus einer dunklen Ecke eine Frau auftauchte und ihm eine Schale Milchsuppe hinstellte. Der Mann stand auf, verschwand schnaubend und ließ sich nicht mehr blicken, solange Teo im Haus verweilte. Die Frau bewegte um Verzeihung bittend die Hände, presste mit den Fingern nervös Falten in die Schürze, nahm dann das Geld an sich, das ihres Mannes wie auch den Schein, den Teo auf den Tisch gelegt hatte, legte es in das Kästchen und stellte es wieder an seinen Platz. Dann drehte sie sich zu Teo um und machte einen Knicks. Teo war bereits aufgestanden und knickste zurück, bedankte sich aus Versehen auf Schwedisch und machte sich davon.
Matias lacht über den Bericht wie über eine lustige Anekdote. Auch Teo muss bei der Erinnerung an die Szene schmunzeln. Dann aber kommt ihm ein Gedanke: Wenn sie das ganze Elend, das sie umgibt, nur amüsiert, wie sollte es sie dann berühren? Wäre ihnen noch zum Lachen, wenn sie es tatsächlich in sich spürten?
Wo man auf den Menschen schauen sollte, schauen sie in den Spiegel. Da ist er ja, der Nächste, den Gott nach seinem Bilde geschaffen hat. Was du ihm tust, das hast du Gott getan, diene ihm also und verrichte gute Werke für ihn, so wie es deinen Fähigkeiten entspricht.
Und Johan, was geschah mit ihm? Hat sich der Bär, der stets bereit war, in schmetterndes, männliches Lachen auszubrechen, in ein düsteres, leidend aussehendes Gespenst verwandelt? Hat die Wirklichkeit den Freund mit ihrem kalten Finger berührt und ihm alle Freude, die er im Leben hatte, geraubt?
In seinen letzten Briefen an Teo hatte sich Johan Berg an ihre gemeinsamen Studienjahre zurückerinnert und immer wieder dieselben Geschichten erzählt, wie um sich zu vergewissern, dass so etwas tatsächlich einmal stattgefunden hat. Trotz all der lustigen Erinnerungen waren es düstere Briefe gewesen. Oder gerade ihretwegen war der Kontrast so stark. Vielleicht hatte Johan beim Schreiben endgültig begriffen, dass alles verloren war. Hatte das, was Johan in der Wirklichkeit sah, seine Seele ermüdet, oder das, was schon gewesen und vergangen war?
MARJAS BUCH
D ie gelbe Fassade ist so lang wie die ganze Straße. Marja geht unter den Fenstern entlang. Das Holzgebäude gleicht einer Festung, ein dünner, kraftloser Schleier aus Reif liegt auf der gelben Farbe, er dringt in das große Haus nicht ein.
Ein Mann kommt um die Ecke und springt vor Marja wie ein überraschter Hase. In seinen Augen liegt der gleiche Blick wie bei Peni, dem Hund von Pajula, den Lauri im Suff schlug, bis er wahnsinnig wurde.
Marja taumelt gegen die Wand und Juho mit ihr, wie ein Ast, der sich nach jeder Laune des Windes biegt.
Der Mann rutscht aus, als er Marja ausweichen will, kann sich aber abfangen und eilt in unverminderter Geschwindigkeit, bloß auf allen Vieren, weiter über die Straßenkreuzung. Drei herrschaftlich aussehende Männer holen ihn ein. Einer trägt einen Wolfspelz. Er packt den auf allen Vieren Rennenden am Mantelkragen und reißt heftig daran. Der Flüchtige fährt hoch wie ein Pferd, das sich auf die Hinterbeine stellt. Dann rutscht er aus und sinkt in seinem Mantel zusammen. Der im Wolfspelz schleudert ihn wie eine ungezogene Katze auf die Straße.
»Dieser Bandit«, krächzt eine Frau mit blauem Kopftuch, die den Männern gefolgt ist.
Ein kleiner, ausgetrockneter Mann mit hängendem Schnauzbart schlägt dem Dieb den Mantel zur Seite.
Der Dieb blickt entsetzt auf den Schnauzbärtigen, drückt dann die Stirn in den Schnee und keucht heftig. Er zieht die Schultern hoch, als rechnete er mit einem Schlag. Der Schnauzbärtige holt aus den Tiefen des Mantels einen Fleischbrocken hervor und hält ihn zum Zeichen des Triumphs für alle sichtbar in die Höhe. Dann rammt er dem Dieb den Fleischklumpen plötzlich ins Genick. Der Getroffene erschlafft und bleibt so auf der Straße liegen. Nicht wegen der Wucht des Schlags, sondern weil er keine Kraft hat, sich zu wehren. Anschließend versetzt ihm der Schnauzbärtige noch einen Tritt. Marja hält Juho die Augen zu.
Die Frau mit dem blauen Kopftuch bemerkt Marja
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