Das Hungerjahr - Roman
und Lenkolas Hund Musti darauf gesessen hat wie der Kapitän eines Ozeanschiffes auf dem Weg zu fernen Ufern. Dass Juhani mit Mataleena zum Sumpf gegangen ist, um dem Frühjahrstanz der Kraniche zuzusehen.
»Da sind wir. Ihr könnt Hakmanni, den Kirchendiener, nach einem Stück Brot fragen. Er wird kaum welches haben, aber immerhin wird er euch Wasser zum Trinken geben. Er wohnt da drüben. Zum Armenhaus kommt man, indem man von ihm aus zu den Feldern hinunter geht.«
Gustafsson setzt Juho ab und geht ohne Abschiedsgruß zum Fluss zurück. Ein junger Mann tritt aus einem Holzschuppen. Er kommt auf Marja zu, die Holzscheite auf seinem Arm umklammernd wie ein Kind, und wünscht ihr den Frieden Gottes. Das ist Hakmanni. Er versucht zu lächeln und macht ein blödsinniges, wenngleich freundliches Gesicht.
»Brot gibt es leider keines, vielleicht für das Kind ein kleines Stück. Oder ich gebe euch was von mir … von meinem Brot, meine ich. Ins Haus kann ich euch nicht lassen. Das ist verboten, wegen der Epidemien. Ins eigene Haus, meine ich. Ins Armenhaus könnt ihr natürlich gehen, wie schon gesagt. Diese Scheite hier, die kann ich auch später noch reinbringen. Oder wartet hier, ich trage sie doch schnell rein, dann schauen wir nach dem Brot. Damit es unten keinen Streit gibt. Weil ich dann allen was geben müsste, aber nicht für alle was da ist.«
Hakmanni eilt im Laufschritt zum Armenhaus. Die Scheite wollen ihm vom Arm rutschen, und er muss sich dabei so verrenken, dass seine Bewegungen umständlich aussehen.
Der Himmel hat die Farbe eines Schlangenauges. Der erste Stern geht auf, und Marja spürt, wie die Schlange sie und Juho anschaut. Sie blickt zurück, Auge in Auge mit der Schlange, aber diese lässt sich nicht einschüchtern.
Schließlich wird Hakmannis Gestalt langsam auf dem verschneiten Hang sichtbar, krumm und schwarz. Marja hofft, der Mann werde die Schlange vertreiben, begreift aber, dass Hakmanni dazu nicht fähig ist. Die Schlange lächelt.
Marja steht auf der Treppe. Hakmanni erschrickt, als er sie sieht, wacht aus seinen Gedanken auf und steckt den Schlüssel ins Schloss.
»Hab ich euch hier stehen lassen und vergessen? Vor der Tür im Kalten. Der Pfarrherr hat befohlen, die Tür wohlweislich verschlossen zu halten, weil sich in solchen Zeiten allerlei Volk herumtreibt. Ich hätte euch ins Warme lassen sollen. Ich wüsste nicht, was es bei mir zu stehlen geben soll. Brot vielleicht, aber wer braucht, dem soll man geben, das kann man nicht als Diebstahl ansehen. Euch ist sicher bis in die Seele hinein kalt.«
Drinnen setzt sich Marja auf den Rand der Chaiselongue. Hakmanni schiebt kleine Holzscheite in den Ofen, Juho schläft dank der Wärme auf dem Arm seiner Mutter ein. Hakmanni wischt sich die Hände an den Jackenschößen ab und verschwindet in der Kammer. Marja legt Juho auf die Chaiselongue und geht zum Topf, um Wasser zu trinken. Hakmanni kommt mit einem halben Brot und einer knappen Metze kleiner, schwarzer, vom Frost verstümmelter Kartoffeln zurück.
»Eigentlich dürfte ich das nicht … es ist verboten, Armenhausbewohnern … Die sind schon sehr klein, in diesen Zeiten«, lächelt Hakmanni freudlos.
»Man kann sie kaum von Blaubeeren unterscheiden«, fällt Marja ein.
»Ich esse die selbst auch, es gibt keine anderen, man muss sich mit dem begnügen, was man hat«, schwatzt Hakmanni bedauernd.
»Das ist schon viel, ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal Kartoffeln gesehen habe«, beeilt sich Marja zu sagen.
Hakmanni seufzt wie erleichtert. Er dreht das hölzerne Kartoffelmaß hin und her und sieht zu, wie die kleinen, schwarzen Kugeln darin von Rand zu Rand rollen.
»Ein bisschen sind sie wie die Jahre jetzt. Schwarz und bescheiden … Obwohl man die Zeiten nicht bescheiden nennen kann. Sie fordern schweren Tribut, und den größten fordern sie von denjenigen, denen ohnehin am wenigsten gegeben worden ist. Die Ernten sind bescheiden, die Kartoffeln hier sind wie die Ernten in diesen Zeiten, schwarz und klein …«
Gut, dass er wenigstens spricht, denkt Marja. Hakmannis Worte schweben wie große Schneeflocken in dem kleinen Zimmer, fallen langsam auf Mataleena und Juhani nieder, decken sanft die Erinnerung an sie zu, und Mataleena lächelt unter dem Schleier aus Schnee.
»Das Kind schläft so selig. Wäre schade, es zu wecken.«
Die Flocken lösen sich auf. Marja kommt im dämmrigen Zimmer zu sich und schaut Hakmanni verwundert an. Dieser hat aufgehört, das
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