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Das Hungerjahr - Roman

Das Hungerjahr - Roman

Titel: Das Hungerjahr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aki Ollikainen
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Hunger nicht gegessen, denn wenn man ihn einmal verliert, ist er für immer fort. Seine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass der Anstellsauer an die nächsten Generationen weitergegeben wird, damit sie nicht immer fremdes Brot essen müssen.
    Wenn man es sich nicht leisten kann, falsche Entscheidungen zu treffen, ist man der einsamste Mensch auf der Welt. Auf der anderen Seite stehen die Angehörigen der Stände, aufgescheucht von den Bettlerhorden, und fürchten die Beeinträchtigung ihres gemütlichen Alltags. Sie rennen wie die Hunde ihrem Schwanz hinterher und verlangen vom Staat Geld und Nahrung, um es an den Straßen auszulegen, damit die umherziehenden armen Teufel beschwichtigt werden und nach Hause zurückkehren.
    Und auf der anderen Seite stehen diejenigen, die mit ihm einer Meinung sind, weil sie immer einer Meinung mit ihm sind. Sie sind nicht fähig, mit dem eigenen Kopf zu denken, er muss alle Gedanken für sie vordenken.
    Die Prozession der vom Wind geformten Schneegespenster löst sich auf. Der Senator blickt nach Katajanokka. Dort liegt seine Goldgrube, aber vorerst zeichnen sich dort noch jene elenden Hütten ab, die den Traum von einer reicheren Zukunft ersticken.
    Der Senator schließt die Augen und stellt sich vor, wie Katajanokka einst in den Wellen versinken und vom Wasser sauber gewaschen wieder aus dem Meer aufsteigen wird, mit stolz zum Himmel aufragenden Häusern aus Stein.

DEZEMBER 1867
    H ier ruht Doktor Johan Berg.
    Gefrorene Erdbrocken fallen auf den Sarg. Am Horizont führt ein blassroter Streifen einen aussichtslosen Kampf gegen das Gewicht des Himmels, setzt sich für die Seele des Toten zur Wehr. Schließlich versiegen seine Kräfte, und schwere Wolken verdecken die letzten Sonnenstrahlen. Die Schatten auf den Gesichtern der Trauernden werden dunkler.
    »Was glaubst du, wie die Totengräber beim Ausheben dieser Grube geflucht haben«, sagt Matias Högfors.
    »Wenn nur das Deckelholz hält«, erwidert Teo.
    Sie unterbrechen das Zuschaufeln für einen Moment und warten, bis sich ihr Atem beruhigt hat. Reglos haben die schwarz gekleideten Trauergäste am Grab gestanden, nun wenden sie sich ab und strömen auf das Friedhofstor zu. Nur eine kleine, vor Trauer gekrümmte Frau bleibt einige Meter hinter ihnen stehen. Der Pfarrer tritt zu ihr und stützt sie behutsam unter dem Ellenbogen.
    Högfors nimmt wieder Erde auf den Spaten. Ein zu schwerer Brocken sorgt dafür, dass die Ladung noch vor dem Grabrand wieder herabfällt.
    »Lassen wir’s gut sein«, seufzt Högfors.
    Er stößt den Spaten in die Erde. Er bleibt nicht stecken, sondern fällt um, und verursacht beim Aufprall auf dem gefrorenen Boden einen Laut, als würde Glas zerbrechen.
    Teo hebt noch einen großen, gefrorenen Brocken Erde vom Haufen und lässt ihn ins Grab fallen.
    Am Fuß des Glockenturms stehen drei Kreuze aus Eisen, wie auf dem Berg Golgatha, doch sie sind leer. Teos Blick wandert zur Spitze des Turms empor, als wollte er sich vergewissern, dass Jesus und die zwei Schächer nicht hinaufgeklettert waren, um sich dort zu verstecken.
    »Glaubst du an Gott, Teo?«
    »Nein, ich glaube nicht, dass diese Not und dieses Elend irgendeinen Sinn haben. Denn danach fragst du doch eigentlich.«
    Matias fordert Teo auf, an Hiob zu denken.
    Und Teo tut es. Er denkt laut über all die Zerlumpten nach, die in den Schneewehen dahinsiechen. Er denkt an Johan, der da unten in der Kiste liegt, auf den sie Steine fallen lassen. Und dann denkt er an all die Ehefrauen und Kinder Hiobs, die Gott sterben ließ, damit Hiobs Glaube reiner werde.
    »An all das denke ich. An jene, die Johan vergebens zu retten versuchte. Aber denke du, Matias, nur an Hiob, damit er nicht in Vergessenheit gerät.
    Wenn dieses Leid eine Prüfung sein soll, dann für wen? Wessen Glaube wird mit dem Leid dieser Menschen geheiligt? Wer ist Hiob? Die Bettler? Nein, denn Gott hielt ja seine schützende Hand über Hiob. Nur alle in seiner Nähe mussten leiden.
    Willst du deinen Hiob mit diesem Volk vergleichen, Matias? Mit dem Volk, das hungert, während wir dichten: back ins Brot zur Hälfte Rinde, denn der Frost raubte des Nachbarn Korn. Hast du je Brot mit Kiefernrindenmehl gekostet? Ich nicht. Wir sind nicht das Volk, Matias, wir überschreiten nie die Grenze, die zwischen uns und dem Volk liegt. Von uns hat nur Johan sie überschritten, er ist unter die Leute gegangen und an ihren Krankheiten gestorben.«
    »Vielleicht besteht das Schicksal dieses Volks

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