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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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zugleich schwer und sanft, die in perfektem Gleichgewicht in der Handfläche oder auf einem Finger stehen konnten. Magische Kiesel, signiert von einem Künstler wie Brancusi.
    Er verhandelte mit den Schließern, stellte fest, dass der Name des Mädchens nicht auf der Liste stand, und brachte sie ins Gebäude der Anti-Drogen-Abteilung in der dritten Etage. Als er die Treppe hinaufstieg, rechnete er aus, wie viele Trümpfe und wie viele Luschen er im Ärmel hatte.
    Was die Trümpfe anging, so sah er ziemlich gut aus; jedenfalls gaben ihm das die Prostituierten zu verstehen, die ihm hinterherpfiffen und ihn mit Kosenamen ansprachen, wenn er auf der Suche nach Dealern durch die heißen Viertel jagte. Indianerhaare, glatt und schwarz. Regelmäßige Züge, kaffeebraune Augen. Eine schlanke, nervöse Figur, nicht sehr groß gewachsen, aber gestreckt durch Stiefel mit mächtigen Sohlen. Beinahe ein Kätzchen, wäre da nicht dieser strenge, vor dem Spiegel einstudierte Blick und dieser Dreitagebart gewesen, der das hübsche Gesicht verfinsterte.
    Luschen gab es nur eine einzige, allerdings eine gewaltige: Er war ein Bulle. Als er die Polizeiakte des Mädchens durchlas, begriff Paul, dass sein Hindernis unüberwindbar sein würde. Reyna Brendosa, vierundzwanzig, wohnhaft in der Rue Gabriel-Péri 32 in Sarcelles, war aktives Mitglied der Revolutionären Kommunistischen Liga, einer radikal ausgerichteten Organisation; sie arbeitete mit »Tutte bianche« zusammen, einer italienischen Antiglobalisierungsgruppe, die zivilen Ungehorsam propagierte. Mehrmals war sie wegen Vandalismus, öffentlicher Ruhestörung und tätlichen Beleidigungen festgenommen worden. Eine echte Bombe.
    Paul blickte vom Bildschirm auf und musterte erneut jenes Wesen, das ihn von der anderen Seite des Schreibtisches aus durchdringend ansah. Die schwarzen Iris ihrer mit Kajal betonten Augen trafen ihn härter als die beiden Dealer aus Zaire, die ihn in Château-Rouge vermöbelt hatten, als er eines Abends nicht vorsichtig genug gewesen war.
    Er spielte, wie alle Polizisten, mit ihrem Personalausweis und fragte: »Macht's dir Spaß, alles kaputtzumachen?«
    Keine Antwort.
    »Macht Gewalt dich an?«
    Keine Antwort. Dann, mit einem Mal, ihre Stimme - ernst und langsam: »Die einzige echte Gewalt ist der Privatbesitz. Die Ausplünderung der Massen. Die Entfremdung des Bewusstseins. Die schlimmste Gewalt ist die schriftliche, gesetzlich erlaubte.«
    »Diese Ideen sind alle nichts mehr wert, hast du das noch nicht mitgekriegt?«
    »Nichts und niemand kann den Zusammenbruch des Kapitalismus verhindern.«
    »Bis dahin kriegst du drei Monate Knast.«
    Reyna Brendosa lächelte: »Du spielst dich als Soldat auf, dabei bist du nur ein kleiner Aufseher. Ich brauche nur zu pusten, schon bist du weg.«
    Auch Paul lächelte, nie hatte ihn eine Frau zugleich so sehr irritiert und fasziniert. Er hatte starkes Verlangen nach ihr - und fürchtete sich zugleich.
    Nach ihrer ersten Nacht hatte er gefragt, ob sie sich wiedersehen könnten, und sie sagte nur: »Dreckiger Bulle.« Einen Monat später, sie schlief jede Nacht bei ihm, hatte er vorgeschlagen, gemeinsam in seiner Wohnung zu leben, worauf sie sagte: »Lass mich bloß in Frieden.« Und als er wiederum einige Zeit später von Heirat sprach, da hatte sie laut losgelacht.
    Geheiratet hatten sie in Portugal, in ihrem Heimatdorf, unweit von Porto. Erst im kommunistischen Rathaus, danach in einer kleinen Kirche. Synkretismus von Glauben, Sozialismus und Sonne.
    Eine von Pauls besten Erinnerungen.
    Es folgten die schönsten Monate seines Lebens, er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Reyna schien ein spirituelles, immaterielles Wesen, das durch winzige Bewegungen, durch einen einzigen Blick von einem Moment auf den anderen eine unglaubliche Präsenz, eine fast animalische Sinnlichkeit versprühte. Stundenlang konnte sie ihre politischen Gedanken entwickeln, Utopien skizzieren und Philosophen zitieren, von denen er noch nie gehört hatte. Dann plötzlich erinnerte ihn ein einziger Kuss daran, dass sie ein rot glühendes, wohlgeformtes, vor Lust bebendes Wesen war.
    Ihr Atem roch nach Blut - unaufhörlich biss sie sich auf die Lippen. In jedem Augenblick schien sie den Atem der Welt einzufangen, schien im Einklang zu sein mit den verborgenen Gesetzmäßigkeiten der Natur. Sie besaß eine Art innere Wahrnehmung des Universums, etwas Tiefgründiges, Unterirdisches, das sie gleichermaßen an die Schwingungen der unbelebten

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