Das Imperium der Woelfe
gewalttätigen, wirksamen Methoden. Die Akte Morpho wird ausgegraben, und lange verpönte Wörter sind plötzlich wieder in aller Munde: Konditionierung, Gehirnwäsche, Infiltrierung...
Mitte November erscheint Charlier im Institut Henri Becquerel. Mit einem breiten Grinsen verkündet er: »Die Bärtigen sind zurück.« Er lädt mich zum Essen ein, ins Bouchon Lyonnais, deftige Küche: Kochwurst und Burgunder. Zwischen dem Geruch von Bratfett und Blutwurst beginnt der Albtraum von vorne.
»Weißt du, wie hoch das jährliche Budget von CIA und FBI ist?«, fragt er.
Ich antworte mit Nein.
»Dreißig Milliarden Dollar. Sie besitzen Satelliten, Spionage-U-Boote, Identitätsfeststellungsautomaten, mobile Abhöreinrichtungen. Die feinste Technologie im Bereich der elektronischen Überwachung, von der National Security Agency und ihrem Know-how ganz zu schweigen. Die Amerikaner können alles abhören, alles wahrnehmen. Es gibt kein Geheimnis mehr auf dieser Welt. Viel wurde darüber geredet, der ganze Globus ist beunruhigt. Big Brother... Aber dann kam der elfte September. Ein paar Jungs, bewaffnet mit Plastikmessern, ist es gelungen, die Türme des World Trade Center und einen guten Teil des Pentagon zu zerstören, mit bis zu dreitausend Toten. Die Amerikaner hören alles ab, fangen alles auf, nicht bloß jene Männer, die wirklich gefährlich sind.«
Das Lachen des Grünen Riesen ist verstummt, langsam wendet er über seinem Teller die Handflächen zur Decke: »Stell dir die beiden Schalen einer Waage vor. Auf der einen Seite dreißig Milliarden Dollar. Auf der anderen Messer aus Plastik. Was macht deiner Meinung nach den Unterschied aus? Was hat die verdammte Waage nach unten gedrückt?« Er schlägt heftig auf den Tisch. »Wille, Glaube, Wahnsinn. Angesichts einer technologischen Armada, angesichts Tausender amerikanischer Agenten konnte sich eine Hand voll entschlossener Männer jeglicher Überwachung entziehen. Weil keine Maschine je so stark sein wird wie das Gehirn des Menschen. Weil niemals ein Beamter, der ein normales Leben führt und einen normalen Ehrgeiz entwickelt, einen Fanatiker an die Wand drängen kann, dem sein eigenes Leben egal ist, der sich ganz und gar einer höheren Sache hingibt.«
Er schweigt, holt tief Atem und fährt fort: »Die Kamikaze-Flieger des elften September hatten sich den Körper enthaart. Weißt du, warum? Um vollkommen rein zu sein, wenn sie das Paradies betreten. Man kann gegen solche Schweine nichts tun, man kann sie weder ausspionieren noch kaufen noch begreifen.«
Seine Augen glänzen zweideutig, als habe er die Welt vor der bevorstehenden Katastrophe gewarnt: »Ich wiederhole: Es gibt nur ein Mittel, Fanatiker zu schnappen. Einen von ihnen umdrehen. Ihn konvertieren, um die Kehrseite ihres Wahns zu entdecken. Erst dann können wir kämpfen.«
Der Grüne Riese stemmte die Ellbogen auf dem Tischtuch auf, wölbte die Lippen über den Rand seines Rotweinglases und hob den Schnurrbart mit einem Grinsen: »Ich habe eine gute Nachricht für dich. Mit dem heutigen Tag wird das Projekt Morpho wieder aktiviert. Ich habe sogar einen Kandidaten gefunden.« Das Grinsen wird stärker. »Ich sollte besser sagen: eine Kandidatin.«
Kapitel 41
»Mich.«
Annas Stimme hallte auf dem Zementboden wider wie ein Pingpong-Ball. Eric Ackermann warf ihr ein scheues Lächeln zu, ein Lächeln der Entschuldigung. Seit fast einer Stunde redete er ohne Unterbrechung, saß in seinem Volvo-Kombi, die Fahrertür weit geöffnet, Beine nach draußen ausgestreckt. Seine Kehle war trocken, alles hätte er gegeben für ein Glas Wasser.
Anna stand reglos gegen die Säule gelehnt, zart wie eine Wandmalerei aus chinesischer Tusche. Mathilde Wilcrau ging unaufhörlich auf und ab, sie drückte auf den Schalter des Minutenlichts, sobald die Neonröhren erloschen.
Im Reden beobachtete er sie beide. Die Kleine, blass und dunkel, schien ihm trotz ihrer jungen Jahre eine archaische, geradezu mineralische Starre zu besitzen. Die Große hingegen hatte etwas Kreatürliches an sich, sie versprühte eine ungetrübte Frische. Noch immer dieser allzu rote Mund, diese allzu schwarzen Haare, das Zusammenprallen von grellen Farben, wie auf dem Wochenmarkt.
Wie konnte er in diesem Augenblick so etwas denken? Charliers Männer waren zweifelsohne gerade dabei, mithilfe der örtlichen Polizei das Viertel zu durchkämmen. Hundertschaften bewaffneter Polizisten, die ihm ans Leder wollten. Und dazu noch der Entzug, der immer
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