Das Imperium
Experiment?«, zischte Jess. »Die Roamer haben überhaupt nichts mit Oncier und dem Einsatz der Klikiss-Fackel zu tun!«
»Ebenso wenig wie die Ildiraner.« Cescas Gedanken rasten, als sie versuchte, alles zu verarbeiten. »Die Hydroger verstehen unsere sozialen und politischen Strukturen nicht. Offenbar kennen sie nicht einmal den Unterschied zwischen Menschen und Ildiranern.«
Jess seufzte. »Oder vielleicht spielt der Unterschied keine Rolle für sie.«
Der Händler eilte fort, um die Nachricht weiterzugeben. Cesca sagte ihm, wo er Jhy Okiah finden konnte – sie musste vom Ultimatum und der Aktion des Gesandten erfahren, bevor entsprechende Gerüche zu kursieren begannen.
Cesca fühlte sich müde und erschöpft. Am liebsten wäre sie mit Jess zu irgendeinem Ort geflohen, wo sie zusammen sein konnten, ohne sich über einen interstellaren Krieg gegen fremde Wesen Sorgen machen zu müssen. Aber so etwas kam derzeit natürlich nicht infrage.
Sie trat zu Jess und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Kehr heim, Jess. Hier gibt es nichts mehr für dich zu tun.«
Er sah sie so an, als gingen ihm widerstreitende Gedanken durch den Kopf, die alle verlangten, in Worte gefasst zu werden. »Es gibt immer etwas zu tun, immer eine Möglichkeit, zu kämpfen und zu überleben. Das ist doch die Devise der Roamer, oder?«
Bevor er ging, erlaubte er sich, Cesca liebevoll zu umarmen. »Ja, die Clans brauchen uns, auf unterschiedliche Weise«, sagte die junge Frau. »Die Roamer müssen sich vorbereiten. Du weißt, dass es schlimmer werden wird.«
Jess nickte ernst. »Ja. Das ist eine meiner wenigen Gewissheiten.«
Cesca fand Jhy Okiah im Kindergarten auf einem der äußeren Asteroiden des Rendezvous-Komplexes. Die alte Sprecherin hatte inzwischen von den jüngsten Ereignissen auf der Erde erfahren und wusste auch von den Kometen, die Jess auf Golgen hinabregnen ließ. Ihre Reaktion stand noch aus. All die Jahre in der Roamer-Politik hatten sie gelehrt, nie etwas zu überstürzen.
»Wenn man sich Zeit zum Nachdenken nimmt, beugt man tausend Entschuldigen vor« – so lautete eines ihrer Prinzipien. Wegen der großen Entfernungen zwischen den Hanse-Kolonien und den nicht verzeichneten Siedlungen der Roamer rief keine Ursache eine sofortige Wirkung hervor. Manchmal vergingen Jahre, bis sich Konsequenzen abzeichneten.
Jhy Okiah schwebte in der schwerelosen Umgebung an einer Wand, die Beine im Lotossitz. Eine Leine war am Handgelenk befestigt und verband sie mit dem Boden. Sie kam gern hierher und beobachtete, wie die Kinder spielten und lachten, während sie lernten, sich in einer Umgebung ohne Schwerkraft zu bewegen. Die bunten Wände des Raums waren gepolstert, sodass die kleinen Mädchen und Jungen sich selbst, Bälle oder andere Gegenstände davon abprallen lassen konnten.
In der Mitte des Kindergartens, ausgerüstet mit einem Behälter, der komprimierte Luft für die Navigation enthielt, schwebte der matronenhafte Gouvernanten-Kompi UR und behielt die Kinder im Auge. UR verfügte über extensive Erste-Hilfe- und Disziplin-Programme, außerdem auch über viel mehr Geduld als ein Mensch. Mit seiner mütterlichen Psychologie konnte sich dieser Kompi gleichzeitig um viele Roamer-Kinder kümmern.
Als Cesca hereinkam, erkannte der Kompi sie, bevor Jhy Okiah aus ihren tiefen Träumereien erwachte. »Cesca Peroni, dein letzter Besuch liegt viel zu lange zurück. Benimmst du dich ordentlich, so wie ich es dir gesagt habe?«
Cesca lächelte. »Ich habe nichts von dem verlernt, was du mich gelehrt hast, UR.«
»Das ist auch besser so.« Der Gouvernanten-Kompi ließ komprimierte Luft aus Düsen strömen, flog durch den Raum und trennte zwei Jungen voneinander, die es mit dem Raufen übertrieben. UR hatte sich um mehrere Generationen von Roamer-Kindern gekümmert. Der Kompi war streng und nahm es genau, verstand es aber auch, sanft und liebevoll zu sein.
Während die alte Sprecherin auch weiterhin zu den lärmenden Kindern sah, zog sich Cesca Peroni mithilfe der Haltegriffe an der Wand entlang und näherte sich.
»So sonderbar es auch klingt, wenn man bedenkt, wie laut es hier zugeht«, sagte Jhy Okiah. »Ich komme hierher, um in Ruhe nachzudenken.«
Cesca sah sich um, ließ ihren Blick über die Jungen und Mädchen schweifen. »Eigentlich ist das gar nicht so schwer zu verstehen, Sprecherin Okiah. Gibt es einen besseren Ort, um Personen zu sehen, die vollkommen sorglos sind und das Leben genießen? Personen, für die
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