Das Imperium
Ihren Klagen und dem lärmenden Treiben schenkte er keine Beachtung; dagegen war er inzwischen immun. Als er in den Wohnraum zurückkehrte, stellte er fest, dass seine Mutter tatsächlich schlief.
Er lächelte und rückte die Blumen zurecht, die von der Oncier-Feier stammten – eine leere Lebensmittelpackung diente als Vase.
Rita bezeichnete Blumen immer wieder als Geldverschwendung, aber die Freude in ihrem Gesicht veranlasste Raymond, mindestens einmal pro Woche einen Strauß zu besorgen, ganz gleich, wie viel er kostete.
Er fragte sich, ob er seine Mutter wecken und sie zu Bett bringen sollte, entschied dann aber, sie im Sessel weiterschlafen zu lassen. Sie sollte nicht eine Sekunde Erholungszeit verlieren.
Es war still in der kleinen Wohnung, als sich Raymond rasch umzog. Ihm blieben nur einige Stunden, bevor er zurück sein musste, um seine Mutter zu wecken und den Brüdern dabei zu helfen, sich auf die Schule vorzubereiten.
Er wollte durch die Straßen laufen und bei Fabriken nachfragen, in denen rund um die Uhr gearbeitet wurde, vielleicht auch in dem einen oder anderen Laden. Raymond fand immer eine Anstellung für einige Stunden, indem er Arbeit verrichtete, die sonst niemand wollte, und dafür bekam er entweder Bargeld oder manchmal sogar frische Lebensmittel. Sein Lohn gab der Familie die Möglichkeit, gelegentlich Kleidung zu kaufen oder sich einen Festtagsschmaus zu gönnen.
Während seine Mutter schlief, verließ Raymond die Wohnung und achtete darauf, hinter sich abzuschließen. Er hatte Kopfschmerzen; Müdigkeit ließ die Augen brennen, aber der Schlaf musste noch warten. Zuerst galt es zu arbeiten, um der Familie willen. Der Lift trug ihn achtzehn Stockwerke weit nach unten, und dann verließ er den Wohnkomplex, um mit dem Streifzug durch die Stadt zu beginnen.
Er sollte seine Familie nie wieder sehen.
19 JESS TAMBLYN
Peitschenartige Protuberanzen kamen aus dem kochenden Ozean des heißen Sterns, langsam, schön… und gefährlich.
»Näher heran«, wandte sich der Ingenieur an Jess Tamblyn. Er konnte den Blick nicht von dem Spektakel abwenden. »Wir müssen näher heran.«
Jess schwitzte, aber er vertraute der Intuition des Ingenieurs.
»Wenn es sein muss…« Er schickte ein kurzes Gebet zum Leitstern und betätigte dann die Navigationskontrollen.
Kotto Okiah hatte nur theoretische Vorstellungen von Gefahren, aber er verstand Toleranzen und Risiken besser als jeder andere Roamer. Bereits vier erfolgreiche extremambientale Kolonien waren von ihm geplant und entwickelt worden. Wenn der jüngste Sohn der Sprecherin nicht gewusst hätte, worauf es dabei ankam, wären schon zehntausende Roamer gestorben.
Das speziell abgeschirmte Raumschiff näherte sich der Sonne und Kottos Blick huschte zwischen Fenster und Displays hin und her. Mit dem kurzen, borstenartigen braunen Haar und Augen, die wie graublaue Knöpfe wirkten, sah der Ingenieur aus wie ein Kind, das sich über einen ganzen Haufen unerwarteter Geschenke freute. »Da ist der Planet! Man kann ihn sehen… Es scheint nicht so schlimm zu sein, wie ich befürchtet habe.«
Jess bemerkte den felsigen kleinen Planeten namens Isperos in unmittelbarer Nähe des turbulenten Sterns – seine Umlaufbahn führte ihn durch den dichtesten Teil der Korona. »Nicht so schlimm, Shizz, der Felsbrocken sieht aus wie ein glühendes Kohlenstück in einem Hochofen.«
»In gewisser Weise ist das ein Vorteil«, erwiderte der Ingenieur, von den Anzeigen der Instrumente abgelenkt.
Ein Vorteil. Niemand hatte Kotto Okiah jemals vorwerfen können, ein Pessimist zu sein.
Nach dem Besuch der Blauen Himmelsmine in der Atmosphäre von Golgen war Jess mit der Frachteskorte zum Distributionskomplex der Hanse geflogen, um dort das Ekti anzuliefern. Anschließend hatte er den Flug zum Asteroidenhaufen von Rendezvous fortgesetzt. Verschiedene Pflichten warteten auf ihn. Sie betrafen die Wasserminen seiner Familie, den Clan, Geschäftskontakte und Treffen mit anderen Clanoberhäuptern. Außerdem galt es, Cesca Peroni die Geschenke seines Bruders zu bringen.
Doch Cesca war noch nicht von ihrer Mission mit Sprecherin Okiah zurückgekehrt. Jess hätte jemand anders bitten können, ihr Ross Tamblyns Geschenke zu geben, aber er wollte die Gelegenheit nutzen, einige Momente mit ihr zu verbringen, obgleich die Vernunft ihn davor warnte. Er wusste, dass er nicht auf diese Weise empfinden sollte, nachdem er beschlossen hatte, Verzicht zu üben, um seines Bruders
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