Das Imperium
dann lernte Cesca Jess kennen und zwischen ihnen war ein Funke übergesprungen. Es war etwas, das sie anderen nicht erklären konnten, das sie selbst kaum verstanden.
»Wenn wir dem Leitstern folgen, sollten sich manche Probleme gar nicht erst ergeben«, sagte Cesca.
»Trotzdem…« Kühn trat Jess einen weiteren Schritt vor und weigerte sich, über sein Tun nachzudenken. »Manchmal passiert es.«
Er küsste Cesca, überraschte und erfreute sie dadurch – und erschreckte sie beide. Für ein oder zwei Sekunden erwiderte sie den Kuss und klammerte sich so an ihn, als schwankten sie am Rand eines tiefen Abgrunds. Dann lösten sie sich voneinander – jeder wich einen Schritt zurück.
»Jess, wir sollten nicht einmal…«
»Es tut mir Leid.« Jess errötete und wankte fort, sammelte seine Notizen und Aufzeichnungen ein. Er schüttelte den Kopf, von seinem eigenen Verhalten zutiefst beschämt und verblüfft. Er fühlte sich wie ein Verräter seines Bruders. »Was ist nur in mich gefahren?« Er stellte sich Ross vor, seiner Verlobten beraubt…
»Jess, wir dürfen nicht einmal daran denken.« Cesca war zutiefst beunruhigt, aber sie schien ihm nicht böse zu sein. »Es ist nie geschehen.«
Er nickte sofort. »Wir vergessen es. Ja, wir vergessen es einfach.«
Aber die Erinnerungen brannten hell für sie beide, Monat um Monat. Wie konnten sie es vergessen?
Als Jess’ Schiff aus dem Schatten des Planeten tauchte und ins Gleißen der brodelnden Sonne zurückkehrte, kam es durch Gravitation und Hitze zu heftigen Erschütterungen.
»Wir müssen einen sicheren Anflugvektor berechnen«, sagte Kotto wie beiläufig, als er merkte, wie schwer Jess die Navigation im starken Sonnenwind fiel. Es klang so, als fügte er seinem Entwurf ein kleines Detail hinzu. »Wir können den Schatten des Planeten für den Anflug der Transporter nutzen.«
Jess erhöhte die Filterdichte der Fenster. »Das größte Problem dürfte darin bestehen, die gewonnenen Metalle fortzubringen. Jene Rohstoffe, die wir nicht selbst verwenden, müssen über große Distanzen transportiert werden, bevor wir sie vermarkten können.«
»Oh, natürlich«, erwiderte Kotto. »Die Große Gans würde nicht einmal bis auf Sensorreichweite an den Planeten herankommen. Aus Furcht, sich die empfindliche Haut zu verbrennen.«
Die Hanse warf keinen zweiten Blick auf eine wilde, heiße Welt wie Isperos, aber für Roamer waren solche Planeten durchaus akzeptabel. Sie hatten sich bereits in vielen erstaunlichen Habitaten niedergelassen, zum Beispiel auf Rendezvous.
Ihre Gesellschaft ging auf das Generationenschiff Kanaka zurück, benannt nach dem Erforscher der Vallis Marineris auf dem Mars. Die Kanaka war das elfte und letzte große Schiff gewesen, das eine schwierige Situation auf der Erde hinter sich zurückließ. Zu jener Zeit hatte es kaum mehr finanzielle Mittel für das ehrgeizige Kolonisierungsprojekt gegeben und es stand nur noch wenig Material zur Verfügung. Crew und Besatzung der Kanaka hatten sich vorgestellt, zäher zu sein als die anderen Kolonisten, wahre Überlebenskünstler.
Den Mangel an Material machten sie durch exzentrischen, innovativen Einfallsreichtum wett, der selbst unter sehr schlechten Bedingungen bewohnbare Ambienten schuf. Bevor sie die Erde verließen, hatten diese Menschen im arktischen Ödland gelebt und Bergwerksstationen auf den Monden des Jupiter gebaut. Sie gingen von folgender Annahme aus: Wenn gewöhnliche Methoden nicht funktionierten, mussten eben neue erfunden werden.
Während des jahrzehntelangen Flugs der Kanaka bildeten die Menschen an Bord eine in sich geschlossene Gesellschaft. Als ihre Ressourcen zur Neige gingen, unterbrachen sie die Reise bei einer Asteroidenwolke, die den roten Zwergstern Meyer umgab. Dort suchten sie nach Wassereis, Mineralien und Metallen, legten Vorräte an, die für weitere Jahrzehnte reichten.
Einige besonders innovationsfreudige Kolonisten stellten Berechnungen an und gelangten zu dem Schluss, dass sie mit der großen Konstruktions- und Schürfausrüstung der Kanaka Stationen in und zwischen den Asteroiden errichten konnten, dem schwachen karmesinroten Licht der Sonne nahe genug. Der Meyer-Gürtel enthielt genug Rohstoffe, um den Kolonisten einen guten Anfang zu ermöglichen, und durch eine Verringerung der Bevölkerung des großen Generationenschiffes bekamen die übrigen Reisenden eine bessere Chance.
Zehn Jahre lang blieb die Kanaka beim roten Zwerg, bis es den Meyer-Freiwilligen gelang,
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