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Das Implantat: Roman (German Edition)

Das Implantat: Roman (German Edition)

Titel: Das Implantat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel H. Wilson
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vermischt haben. Auch ein paar große, hellrote Blutstropfen kann ich sehen, in denen sich ganz klein eins der hellen Fenster spiegelt.
    Jim hatte recht. Lyle ist verrückt. Doch der Schlag ist nichts im Vergleich zu dem elektrischen Koller, der gleich wie ein aufgeladener Wirbelsturm über mein Hirn hereinbrechen wird.
    »Willst du sterben?«, fragt Lyle mit leiser Stimme.
    Mir ist nicht klar, ob das als Frage oder Angebot gemeint ist.
    Lyle sieht zur Tür. Zuerst denke ich, er will mich hier zurücklassen, aber mit einem Mal dreht er sich wieder um, und eine der harten Lederspitzen seiner Cowboystiefel trifft mich in den Bauch. Er tritt so hart zu, dass mein Körper einen kleinen Satz nach hinten macht.
Nein, nein, nein.
Ich schreie verzweifelt mit den Augen, aber wer soll es sehen? Schon zittern die ersten Anzeichen des Anfalls durch meine Arme und Beine.
    »Kein Problem«, murmelt Lyle. Und erneut trifft mich der Stiefel, diesmal härter als vorher.
    »Oder willst du vielleicht doch lieber leben?«, fragt Lyle. Er läuft um mich herum und tritt mir dabei systematisch gegen die Beine, die Arme, den Rücken. Meinen Kopf verschont er.
    »Willst du leben?«
    Aus meinem Mund kommt nur ein leises Zischen. Außer Schmerz habe ich nichts mehr in mir, komme mir vor wie eine leere, gewichtslose Hülle. So habe ich mich noch nie gefühlt. Ich versuche, so viel Luft wie möglich durch den schwarzen Schlund meiner Kehle einzusaugen und konzentriere mich danach allein darauf, irgendwie meine Zunge zu bewegen. Wieder kriege ich gerade mal einen leisen Hauch über die Lippen, aber irgendwie scheint Lyle mich zu verstehen.
    »Ja.«
    Er hört auf, mich zu treten. Ich höre ihn schwer atmen und einen ganzen Schwall Tabaksaft in seine Flasche spucken. Dann landet etwas klatschend neben meinem Kopf. Obwohl Tränen meine Sicht verschwimmen lassen, erkenne ich ein altes Lederetui, das etwa die Größe einer Brieftasche hat.
    »Mehr brauchtest du nicht zu sagen, Bruder«, meint Lyle. »Mehr brauchtest du nicht zu sagen.«
    Ich kann ihn kaum noch hören. Der Sturm ist da. Große graue Wolken stoßen aneinander und bedecken meinen Körper mit eiskalten Tropfen. Arme und Beine krümmen sich, und ich schreie durch zusammengebissene Zähne. Der Sturm scheint mich zu zerreißen wie eine auf dem Feld vergessene Strohpuppe.
    Lyles Stiefel knarren leise, als er neben mir in die Hocke geht. Aber das spielt sich alles in einer anderen Welt ab. Jetzt könnte er mich zu Tode treten, und ich würde es nicht merken, denn schlimmere Schmerzen, als ich mir selbst gerade zufüge, kann er mir nicht bereiten.
    Wie aus weiter Entfernung höre ich den lachenden Cowboy mit mir reden. Aber mein Gehirn funktioniert nicht mehr. Die Schallwellen hallen durch meinen Kopf, ohne zu Worten zu werden. Und dann gar nichts mehr.
    Der Sturm legt sich. Die Strohhalme sinken sanft zu Boden. Und auf einmal sind die Strohhalme weg, und ich liege wieder auf dem Linoleum und habe Lyles nach Kuhfladen stinkende Stiefel vor der Nase. Ich kann sehen, wie Lyle über mir mit seinen tätowierten Armen präzise, ruckartige Bewegungen ausführt, von denen die kämpfenden Krähen jede einzelne mitmachen. Eine von ihnen trägt eine brennende Fackel in den Klauen.
    Das kleine Lederetui liegt offen neben mir, und in seinem Innern erkenne ich eine Reihe filigraner Instrumente. Es sind alte Wartungsinstrumente für Implantate. Sie kommen mir vertraut vor, sind aber nicht so sauber wie sonst. Die sterilisierten Instrumente in der Praxis meines Vaters blitzten immer förmlich vor Sauberkeit.
    Lyle dreht den Kopf und schaut mich mit einem schiefen Lächeln an. Kurz darauf beugt er sich über mich und inspiziert aufmerksam meine Wartungsschnittstelle. Dieser Blick in seinen Augen … Kommt ihm die Hardware etwa bekannt vor? Hat er den Zenith gesehen? Ihn wiedererkannt?
    Mit flinken Bewegungen schaltet er mein Implantat wieder an. Während er arbeitet, flüstert er hastig auf mich ein: »Vielleicht habe ich dich doch falsch eingeschätzt, Kumpel. Es ist nicht leicht, diesen Maschinen zu vertrauen. Zu wissen, dass sie in einem stecken. Wurde schon die typische Panikattacke des neuen Jahrhunderts genannt. Panik, die sich im ältesten Teil des Hirns zusammenbraut, das dem Hirn der Reptilien gleicht und mehr als dreihundert Millionen Jahre alt ist. Älter als jede Sprache. Das Fremde in dir. Angst, die wie Platzangst ist. Bringt einen dazu, verzweifelt am Sargdeckel zu kratzen. Nur will man in dem

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