Das Implantat: Roman (German Edition)
zu. Mit dem Zenith lebt man sein Leben intensiver als andere Menschen. Man bekommt einen klareren Blick. Sieht mehr, hört mehr, versteht mehr.«
Lyle packt mich an den Schultern und nähert sein Gesicht meinem.
»Das ist etwas, was normale Menschen tief in sich spüren, und es macht ihnen eine Heidenangst. Ein Amp zu sein macht einen nicht weniger menschlich, Bruder. Im Gegenteil, es macht einen
mehr zum Menschen.
«
Er lehnt sich zurück und schaut mir eindringlich ins Gesicht, um zu sehen, ob ich auch verstanden habe.
»Der Amp macht dich menschlicher«, wiederholt er. »Vergiss das nicht.«
»Danke«, bekomme ich gerade so heraus.
Lyle nickt. Er steht auf und stopft sein Werkzeugetui zurück in den Bund seiner Jeans. Dann nimmt er seine Plastikflasche vom Boden.
»Kein Ding. Hast mir nur dein Leben zu verdanken, das ist alles.«
Lyle bleibt im Türrahmen stehen und wirkt kurz unentschlossen.
»Mach dich ein bisschen sauber«, sagt er nach einer Weile. »Ich werde dir zeigen, wozu man als Amp fähig ist.«
The Wall Street Journal
Kommentar
Schutz für eine bedrohte Spezies
Von Joseph Vaughn
Es spielt keine Rolle, welchem Wertesystem man anhängt: Neuronale Eingriffe dieser Art sind ganz eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das meine ich sowohl im höchst allgemeinen wie auch im sehr spezifischen Sinne.
Ganz konkret stellen Eingriffe, welche unnatürliche Fähigkeiten verleihen (und damit jene Wesen namens
Amps
schaffen), ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs dar. Das heißt, sie sind »Teil einer staatlichen Politik«, die »auf gravierende Weise gegen die menschliche Würde verstößt oder die schwerwiegende Erniedrigung oder Abwertung von einem oder mehreren Menschen zum Ziel hat«.
Diese Eingriffe zerstören den Kern dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Sie sind schlimmer als jede Körperverletzung, schlimmer als jede Vergewaltigung, schlimmer als jede Folter – denn all diese widerwärtigen Verbrechen werden zwar an Menschen verübt, ändern jedoch nichts an deren
Menschsein.
Durch das Einpflanzen eines Implantats jedoch wird ein Mensch zum
Amp.
So wird nicht nur die menschliche Würde dieses Menschen zerstört, sondern auch seine Fähigkeit, diese überhaupt zu
empfinden.
Und dadurch wird der Rest der Gesellschaft vor ein Dilemma gestellt. Nur auf diejenigen, die der menschlichen Spezies angehören, können auch die Menschenrechte angewendet werden. Per Definition sind Amps jedoch Wesen, welchen die Menschenrechte nicht zustehen. Es sind Wesen, die außerhalb jeglicher Wertesysteme agieren und damit das moralische Fundament auszuhöhlen drohen, auf dem unsere Zivilisation aufgebaut ist.
11
Tiere und Götter
O Mann, jetzt schau dir nur diesen Kerl an«, sagt Lyle und macht eine Geste mit dem stramm zusammengerollten Programm in seiner Faust. »Der ist doch unbezahlbar. Er ist der Grund, warum wir nicht in der ersten Reihe sitzen.«
Wir befinden uns nicht weit von Eden, in einer vollbesetzten Lagerhalle, die zu einem Stadion umfunktioniert wurde. Wir sitzen auf dicht an dicht stehenden Klappstühlen, die um einen mit Maschendraht eingezäunten Boxring aufgereiht sind. Nicht weit von uns marschiert das bullige menschliche Ding, von dem Lyle redet, im Licht der Scheinwerfer auf den Ring zu. Sein Gang ist langsam und schwerfällig, sein mächtiger Rücken glänzt durch den Zigarettendunst, und bei jedem Schritt kann man das beeindruckende Spiel seiner Muskeln beobachten. Den Kopf hält das Monster bereits gesenkt, die Augen sind fest auf seinen Gegner gerichtet – die Schreie und Anfeuerungsrufe der vielen Sterblichen, die gekommen sind, um den Kampf zu sehen und Wetten darauf abzuschließen, beachtet es gar nicht.
Doch wer oder was tritt da eigentlich gegeneinander an? Menschen sind es nicht, ganz bestimmt auch keine Götter. Vielmehr Titanen.
Außer Lyle sind noch drei weitere Männer dabei. Die zwei namens Stilman und Daley sitzen nebeneinander und sehen immer mal wieder heimlich zu mir herüber, wenn sie denken, ich merke es nicht. Der dritte Mann, Valentine, hat den ganzen Abend noch kein Wort gesagt. Mit seinem sommersprossigen Gesicht sitzt er einfach still und wachsam da. Jeder dieser Typen ist so stämmig und muskulös, wie Lyle langgliedrig und dünn ist. Inmitten der aufgeregten Menge wirken sie mit ihrer ruhigen Art wie Mönche.
Mir ist nicht klar, ob die Kerle
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