Das Implantat: Roman (German Edition)
er mit seinen schwarzen Augen die Unendlichkeit herausfordern zu wollen.
»Es gibt eben auch noch anständige Menschen«, sinniert Jim mit Blick auf den Fernseher. »Ja, zeigt es diesem Vaughn, dem alten Arschloch.«
Auch ich lächle und versuche, mich zu freuen. Schließlich ist es das erste Mal, dass eine Gruppe »normaler« Menschen sich zusammentut, um öffentlich für die Belange der Amps bei der ganzen Sache einzutreten.
»So muss es laufen«, sagt Jim. »Die gewöhnlichen Leute müssen für Gerechtigkeit sorgen. Wir können sie nicht zwingen.«
Die Gutmenschen dort im Fernsehen setzen sich für die Rechte von Freunden und Bekannten ein. Die meisten Schläfen, die ich erkennen kann, sind blank und unberührt. Eine Minderheit, sicher, aber wenigstens meldet sie sich endlich zu Wort. Und das macht die Kundgebung zu etwas ganz anderem, als wenn Amps dort auf den Stufen des Parlamentsgebäudes ständen.
Jim hört es zuerst. Ein gedämpftes, zutiefst entsetztes Stöhnen dringt durchs Fenster. Ohne ein Wort zu sagen, springt Jim aus dem Sessel und eilt ins Schlafzimmer.
Ich bin ebenfalls bereits auf den Füßen, als die Tür auffliegt. Lucy stolpert mit Nick auf den Armen herein. Erschöpft legt sie ihn auf die Couch.
Blut läuft von seiner Schläfe herab.
»Was ist passiert?«, frage ich erschrocken.
»Die Typen hinterm Zaun«, erwidert Lucy. »Müssen ihn erwischt haben, als er übers Feld wollte.«
Wieder stöhnt Nick etwas, doch ich kann es nicht verstehen. Irgendetwas ist anders an ihm. Aber ich komme nicht drauf, was es ist …
Seine Wartungsbuchse ist nicht mehr da.
Man hat sie ihm aus der Schläfe gerissen. Um die Stelle herum ist die Haut wund und geschwollen. Er blutet.
Ich kann nicht glauben, dass er immer noch bei Bewusstsein ist.
Lucy schaut an mir vorbei, und ich sehe Jim im schwachen Licht des Flurs stehen. Unter einem seiner sehnigen Arme klemmt seine alte Arzttasche.
»Geh in die Küche und feuchte ein Tuch an, Owen«, weist Jim mich an.
Eilig kniet sich der alte Mann vor die Couch. Er blickt zu Lucy auf und setzt an, etwas zu sagen, hält dann aber mit zitternder Unterlippe inne. Er reißt sich zusammen und versucht es noch mal.
»Kann er noch sehen?«, fragt er Lucy.
Eigentlich ist es eine ganz einfache Frage. Doch nachdem er sie gestellt hat, muss der alte Mann schlucken. Er zwingt die Gefühle seine Kehle hinunter und in seinen Bauch. Dort kann die Verzweiflung langsam an ihm nagen, statt ihn sofort in einem Stück zu verschlingen.
»Ich weiß es nicht«, antwortet Lucy. »Er hat nach Hause gefunden. Aber sie haben sie ausgerissen.«
»Himmel«, meint Jim. »Ich bin mir nicht sicher, was wir ohne Buchse tun können.«
Ich reiche Jim ein nasses Küchentuch, und er säubert damit Nicks Schläfe. Wischt den Schmutz weg, unter dem noch mehr gerötete Haut zum Vorschein kommt. Blut und Dreck färben das Tuch dunkel. Trotzdem beginnt der Junge allmählich, sich zu regen. Er öffnet die Augen, die sich in einem fort nach hinten und wieder nach vorne verdrehen.
»Nick«, sagt Jim und wedelt mit der Hand vor dem Gesicht des Jungen herum. »Kannst du was sehen?«
Nick dreht den Kopf und blickt zu seiner Adoptivmutter auf. Sagen tut er nichts. Presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und schließt wieder die Augen, während erneut Tränen über seine Wangen rollen.
»Alles wird gut, mein Kleiner. Hab keine Angst«, murmelt Lucy, während sie ihn streichelt und sich mit der anderen Hand die Tränen aus dem Gesicht wischt.
»Du hältst dich super, Nick«, pflichte ich bei.
Behutsam wischt Jim dem Jungen ein paar nasse Strähnen aus dem verwirrten Gesicht. Auf der Stirn hat der Junge eine dicke Beule mit einem kleinen Schnitt in der Mitte. Man kann förmlich zusehen, wie sich die Beule dunkel färbt.
Lucy sieht Jim an. Am Ausdruck ihrer Lippen und der gerunzelten Stirn ist zu erkennen, dass sie ihn etwas fragen will. Doch sie spricht die Frage nicht aus.
»Wenn wir Glück haben, hat er nur eine Gehirnerschütterung«, sagt Jim. »Ich muss nachsehen, was von der Wartungsbuchse übrig ist, dann weiß ich mehr. Scheint fürs Erste okay zu sein. Das Implantat selbst ist immer noch da. Vielleicht hat sich die Buchse sauber vom Anschlussstück gelöst. Wenn die ganze Sache aber nicht so sauber abgelaufen ist, dann …«
Lucy sagt, was Jim nicht auszusprechen imstande ist. »Dann hat er vielleicht einen Hirnschaden«, ergänzt sie.
Auf dem Fernsehschirm ist ein dicker Typ zu
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